Robuste Lösungen für den Kunden

Marco Schneider auf der Innovationsforum Frugale Maschinen, Anlagen und Geräte

Dr.-Ing. Marco Schneider, Bereichsleiter Fertigungs- und Prozesstechnik, eröffnet das Innovationsforum Frugale Maschinen, Anlagen und Geräte. (Quelle: Fraunhofer IPA/Foto: Rainer Bez)

Robuste Lösungen für den Kunden

Der Markt für Highend-Produkte wird voraussichtlich kaum noch wachsen. Wer langfristig denkt, muss sich einem stürmisch wachsenden Markt stellen: der Mittelschicht in den Schwellenländern. Und dazu zugeschichte Produkte entwickeln.

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»Made in Germany« steht für Highend. Viele Produkte, die hierzulande gefertigt werden, haben mehr Finessen, als der einzelne Kunde braucht: Hier noch ein Sensor, dort noch ein Schalter. Doch gerade diese Einstellung, immer noch mehr hinzuzufügen, könnte in Zukunft Probleme bereiten. Denn der Markt für Highend wird voraussichtlich kaum noch wachsen – und er wird zunehmend härter umkämpft. Manche ausländische Unternehmen, die mit schlichten Produkten begannen, haben sich inzwischen in die Top-Liga hochgearbeitet. So kann sich das Handy des chinesischen Produzenten Huawei, das vor Jahren als Billigversion begann, nun mit den Top-Marken messen. Dazu kommt, dass die Innovationszyklen immer kürzer werden, sodass der Forschungsaufwand wächst.

Frugale Produkte und Produktionssysteme

»Die Brot- und Buttermaschinen wurden vergessen«, bringt Marco Schneider vom Fraunhofer IPA das Dilemma des deutschen Maschinenbaus auf den Punkt. Wer langfristig denkt, muss sich einem stürmisch wachsenden Markt stellen: der Mittelschicht in den Schwellenländern. Allerdings haben die Kunden in China oder Indien andere Bedürfnisse als die in Europa. Sie wollen preiswerte Produkte. Dafür hat sich in der Ökonomie seit einigen Jahren die Bezeichnung »frugal« etabliert. Das Fremdwörterlexikon übersetzt das Wort als »einfach, bescheiden«. Ökonomen fassen die Bedeutung weiter: Frugale Güter sind nicht nur kostengünstig, sondern vor allem auf den jeweiligen Kundenkreis zugeschnitten. Es handelt sich dabei nicht um billigen Ramsch, zweite Wahl also, sondern um robuste Produkte, die durchaus einen hohen Qualitätsanspruch haben – auch wenn sie nicht über alle Finessen verfügen. Oft stecken pfiffige Ideen dahinter, um den Kundenwunsch exakt zu bedienen. Frugal können nicht nur Produkte sein, sondern auch Produktionsprozesse.

Innovationsforum Frugale Maschinen, Anlagen und Geräte

Baden-Württemberg hat sich zu einem Schwerpunkt für frugale Produkte, Produktionen und Dienstleistungen entwickelt, was auch Fraunhofer-Instituten zu verdanken ist. Das IPA befasst sich seit Jahren mit dem Thema und unterstützt vor allem kleine mittelständische Unternehmen, sich damit systematisch auseinanderzusetzen. Im November 2018 hatte das Institut zum zweitägigen »Innovationsforum Frugale Maschinen, Anlagen und Geräte« geladen, zu dem zahlreiche Vertreter aus Industrie, Politik und Verbänden angereist waren. Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Veranstaltung bot branchenübergreifende interdisziplinäre Workshops und Vorträge. Letztere spiegelten die ganze Bandbreite des Themas wider. So steckt beim Verein »Ein Dollar Brille« ein sozialer Gedanke im Zentrum. Er will mit seiner frugalen Sehhilfe 150 Millionen Menschen in armen Ländern wie Malawi oder Äthiopien zu klarer Sicht verhelfen. Einfache mechanische Biegemaschinen, die Menschen vor Ort bedienen können, formen aus Draht das Gestell, in das vorgefertigte Gläser aus chinesischer Produktion einrasten. »Seit 2014, dem Start des Projekts, haben wir schon 100 000 Brillen verkauft oder verschenkt«, teilt der Verein mit.

Grafik frugal
FRUGAL steht für Functional, Robust, User-friendly, Growing, Affordable, Local. (Grafik: Fraunhofer IPA)

Kaugummi als Indikator

Manchmal steckt auch nur eine clevere Idee hinter dem frugalen Ansatz. Umdenken ist ohnehin gefragt, wenn frugal erfolgreich sein soll, darin sind sich die Experten einig. Ein Team um den Pharmakologen Professor Lorenz Meinel von der Universität Würzburg steht beispielhaft dafür. Es suchte nach einem Weg, die Diagnose von Entzündungen im Mundraum, etwa nach einer Zahnimplantation, schnell und preiswert stellen zu können. Derzeit muss ein Arzt dem Patienten eine Probe entnehmen und an ein Labor schicken – eine aufwendige Prozedur. Der innovative Ansatz ist wesentlich eleganter: Der Patient kaut ein präpariertes Kaugummi, und wenn sich ein bitterer Geschmack einstellt, ist eine Behandlung nötig. Das smarte Kaugummi schlägt allerdings nur auf jeweils einen speziellen Erreger an. Vorteil: Die Diagnose steht innerhalb von zwei Minuten und kostet nur wenige Euro.

Papier aus Heu und eine faltbare Biogasanlage

Bei der Creapaper GmbH wiederum steht die Ökologie im Vordergrund. Die Forscher haben einen Weg gefunden, Papier aus Heu herzustellen, um den Wald zu schonen. In manchen Supermärkten stehen bereits Obstschalen aus Gras-Papier. Und CNG-HomeGas hat eine simple Biogasanlage entwickelt, die aus Kuhmist nicht nur Gas zum Kochen produziert, sondern auch hochwertigen Dünger. In Entwicklungsländern eingesetzt, müssen Kleinbauern nicht länger Holz oder Öl kaufen. Die Anlage ist sehr robust, widersteht sogar der aggressiven afrikanischen Sonne und passt, zusammengefaltet, auf ein Motorrad. Bezahlt wird nach einem speziell auf die nicht liquide Zielgruppe angepassten Finanzierungsmodell.

Pro und Contra

Doch es muss nicht immer ein neues Produkt sein. Beim Maschinenbauer Voith Paper war es die Not, die einen frugalen Lernprozess in Gang setzte. Seine Maschinen zur Papierherstellung waren zwar technisch Weltspitze, aber zu teuer. Viele Kunden waren nicht mehr bereit, den Preis zu bezahlen. Vor allem bei den Maschinen zur Altpapieraufbereitung brach das Geschäft drastisch ein und erforderte ein radikales Umdenken. Dr. Hans-Ludwig Schubert, ein Quereinsteiger in den Maschinenbau, der zunächst Philosophie studiert hatte, fand den schlichten Ausweg. »Seit zehn Jahren beschäftigen wir uns mit frugal«, sagt er. Einfach war der Start nicht: »Ich habe sechs Jahre gebraucht, um das Topmanagement zu überzeugen.« Auch die Ingenieure mussten umdenken und kreative Lösungen finden. »Ein einfaches Produkt herzustellen, ist das Schwierigste.« Schubert hat vor allem die Anzahl der Modelle drastisch reduziert und eine modulare Bauweise eingeführt. Außerdem konnte er die Kosten für einzelne Bauteile dank pfiffiger Ideen um bis zu 70 Prozent reduzieren.

Frugale Lösungen können allerdings auch einen Nachteil haben: Unternehmen, die sowohl herkömmliche als auch frugale Produkte im Angebot haben, könnten sich selbst Konkurrenz machen. Sicher einer der Gründe, weshalb der Werkzeugmaschinenbauer Trumpf das chinesische Unternehmen JFY aufgekauft hat. So kann er die unterschiedlichen Produkte unter verschiedenen Labels vertreiben. »Man muss die Märkte komplett trennen«, sagt Unternehmensvertreter Dr. Thomas Kühn. Kleine Unternehmen haben freilich nicht die Mittel für teure Übernahmen. Hier helfen die Fraunhofer-Institute IPA und IAO, sondieren Kundenwünsche in fremden Ländern, helfen beim Ausbau von Netzwerken und unterstützen bei der strukturierten Umsetzung robuster Lösungen.

Ihr Ansprechpartner

M.Sc. Uwe Schleinkofer

Leiter des Zentrums für Frugale Produkte und Produktionssysteme
Telefon: +49 711 970-1553