»Man muss alle mitnehmen«

Uwe Schleinkofer im Gespräch

Uwe Schleinkofer, Leiter des Zentrums für frugale Produkte und Produktionssysteme am Fraunhofer IPA. (Quelle: Fraunhofer IPA/Foto: Rainer Bez)

»Man muss alle mitnehmen«

Im Gespräch mit interaktiv verraten Uwe Schleinkofer (Fraunhofer IPA), Andreas Heilig und Hans-Ludwig Schubert (beide Voith Paper), worauf es beim Trend »frugal« ankommt. Schleinkofer beforscht das Thema seit sechs Jahren, Heilig und Schubert haben es erfolgreich umgesetzt.

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Frugale Produkte wie langlebige Handys oder robuste Werkzeuge gibt es schon lange. Warum macht sich der Trend jetzt erst im Maschinen- und Anlagenbau bemerkbar, Herr Schleinkofer?

Schleinkofer: Einige Unternehmen im Maschinen- und Anlagenbau haben bereits Erfahrungen mit frugalen Produkten gesammelt – sei es beim Einstieg in das mittlere Marktsegment oder bei der Vereinfachung von Systemen zu reduzierten Herstellungskosten. Manche waren damit schon sehr erfolgreich, wie etwa Voith Paper oder Karl Mayer, andere weniger, beziehungsweise haben das Thema noch nicht bearbeitet. Der Trend der »frugalen Innovationen im Maschinenbau« geht nun viel systematischer voran, um das Ziel von lokal angepassten Systemen mit minimalem Herstellungsaufwand zu erreichen. Zusätzlich werden derzeit viele technische Lösungen sichtbar, die Anregungen zur eigenen Umsetzung liefern.

Herr Heilig, als Sie 2012 begonnen haben, Ihr Produktportfolio neu aufzusetzen, war frugal gar nicht die Zielsetzung. Inwiefern fallen die BlueLine-Produkte dennoch darunter?

Heilig: Die BlueLine-Produkte sind einfach aufgebaut und können in Schwellenländern wie Indien und China gefertigt werden. Alle Rohstoffe sind vor Ort erhältlich. Teure Materialien setzen wir nur dort ein, wo sie notwendig sind. Dadurch bleibt die Funktionalität erhalten und wir sparen Kosten. Für den Anwender sind die Produkte leicht zu bedienen und einfach zu warten. An oberster Stelle steht dabei das Thema Sicherheit. Das stimmt im Großen und Ganzen mit der Definition von frugal überein.

Was waren die größten Herausforderungen bei der Umstellung, Herr Schubert?

Schubert: Ganz klar der Faktor Mensch. Es war schwierig, Leute zu neuem Denken zu ermutigen und Veränderung in die Köpfe zu bekommen. Bei manchen Mitarbeitern kam es so an, als wollen wir die alten Maschinen schlecht machen. Die beste Kombination war, erfahrene Ingenieure, die offen für Neues waren, mit jungen Konstrukteuren von der Uni zusammenzubringen. Wichtig war auch, Leute aus der Fertigung und der Inbetriebnahme von Anfang an ins Boot zu holen. Sonst fallen mir nur Kleinigkeiten ein. Manche Prototypen haben zum Beispiel nicht funktioniert und mussten neu gemacht werden.

Wie haben Sie diese Strategie konstruktions- und fertigungstechnisch implementiert, Herr Heilig?

Heilig: Mit einer radikalen Simplifizierung. Als ersten Schritt haben wir unser Produktportfolio um zirka 40 Prozent reduziert, um Freiräume und Kapazität für die Umsetzung zu haben. Dann haben wir uns überlegt, bei welchen Produkten ein großer Effekt erzielt werden kann, vor allem hinsichtlich der Kosten. Unser »Leuchtturmprojekt« war dann die Scheibenfilterzentralwelle. Diese hatte im »alten« Design 20 Kanäle. Die Fertigung war eine Katastrophe. Die Bauteile mussten aufwendig gebogen, angepasst, verschweißt und geschliffen werden. Die »neue« Zentralwelle hat nur noch 18 Kanäle und zirka 20 Prozent weniger Schweißnähte. Mit Lasern präzise vorgefertigte Einzelteile werden »nur« noch zusammengesteckt und montiert. Die alte Welle war außerdem komplett aus teurem Edelstahl, bei der Neukonstruktion haben wir für Teile, die nicht mit dem Stoff in Berührung kommen, normalen Stahl verwendet. Insgesamt konnten wir über 30 Prozent der Herstellungskosten sparen und die Funktionalität beibehalten. Für mich war das ein Eye-Opener-Produkt.

Herr Schubert, welche Ratschläge können Sie Unternehmen mit auf den Weg geben, die ihre Produktion auf frugal umstellen wollen?

Schubert: Früh genug damit anzufangen. Man kann sich nicht eben mal mit Modularisierung oder frugalen Produkten beschäftigen, man muss es nachhaltig im Unternehmen verankern und alle mitnehmen. Der Markt wächst oft nicht – er bleibt stabil. Um selbst zu wachsen, muss man den Wettbewerbern Marktanteile nehmen. Das funktioniert langfristig nur, wenn man die Arbeitsweise, also die Produkte, Prozesse und so weiter, grundsätzlich ändert.

Was sind die ersten Schritte, wenn ein Unternehmen aus dem Maschinen- und Anlagenbau ins frugale Geschäft einsteigen möchte, Herr Schleinkofer?

Schleinkofer: Für den Einstieg ist ein klares Commitment der Unternehmensführung notwendig, warum der frugale Ansatz notwendig ist und was er für das Unternehmen bedeutet. Die interne Kommunikation und das Miteinbeziehen aller Unternehmensbereiche ist eine Grundvoraussetzung für eine nachhaltige Umsetzung. Für das konkrete Vorgehen sind Potenzialanalysen empfehlenswert, die unternehmensspezifische Problemfälle identifizieren und wirtschaftlich bewerten. Daraufhin müssen die zur Verfügung stehenden Ressourcen geprüft werden. Hier kann das IPA helfen. In Readiness Checks ermitteln wir mit Unternehmen, ob die richtigen Mitarbeiter aus verschiedenen Unternehmensbereichen wie Entwicklung, Produktion, Marketing oder Vertrieb sowie passende Methoden zur Verfügung stehen oder externe Unterstützung benötigt wird. Darauf aufbauend kann gemeinsam mit einer schrittweisen Umsetzung begonnen werden.

Ihr Ansprechpartner

M.Sc. Uwe Schleinkofer

Leiter des Zentrums für Frugale Produkte und Produktionssysteme
Telefon: +49 711 970-1553