Quelle: Fraunhofer IPA/Grafik: Andrine Theiss
Fertigungsrelevante Informationen in 2D-Zeichnungen automatisch erkennen und verarbeiten
Bauteile werden bis heute meist auf der Grundlage von 2D-Zeichnungen gefertigt. Sie enthalten neben der reinen Geometrie viele Zusatzinformationen, die für die Fertigung benötigt werden. Zum automatischen Auslesen dieser Informationen hat das Fraunhofer IPA nun einen neuen Demonstrator entwickelt.
Veröffentlicht am 21.07.2022
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Der Fokus des Forschungsprojekts »Selbstlernende Steuerung einer technologieübergreifenden Matrixproduktion durch simulationsgestützte KI« (SE.MA.KI) liegt auf der Steuerung der Matrixproduktion. Zusätzlich betrachteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch die automatische Generierung von Prozessketten und die Digitalisierung benötigter Informationen, etwa im hier beschriebenen Teilprojekt.
Was sind fertigungsrelevante Informationen?
Als fertigungsrelevante Informationen wurden im ausgearbeiteten Ansatz speziell nicht nur die Geometrie sondern hauptsächlich darüber hinausgehende Informationen betrachtet. Da Informationen wie etwa die Oberflächengüte und Oberflächenbehandlungen häufig einen großen Einfluss auf die möglichen Fertigungsprozessketten und somit Fertigungskosten haben.
Fertigungszeichnungen können, wie in Abbildung 1 dargestellt, eine Vielzahl an weiteren Informationen beinhalten, wie
- die Geometrie des Bauteils, die über die Abbildung der Ansichten dargestellt ist,
- die Bemaßungen der Geometrie, die Größe und Position angeben,
- die Toleranzen, die angeben, welche Abweichungen von der Bemaßung erlaubt sind,
- die allgemeinen Informationen im Schriftfeld, oder
- zusätzliche Informationen, zum Beispiel über eine Wärmebehandlung.
Wie können fertigungsrelevante Informationen in Fertigungszeichnungen erkannt werden?
Ein Großteil der fertigungsrelevanten Informationen sind als Symbole und Texte in den Zeichnungen dokumentiert. Für die Texterkennung, auch »Optical Character Recognition« (OCR) genannt, gibt es zahlreiche Open-Source-Bibliotheken. Eine Analyse der verfügbaren Lösungen hat die Überlegenheit der Python-EasyOCR-Bibliothek gezeigt. Sie basiert auf KI-Algorithmen und kann kontinuierlich mit neuen Beispieldaten trainiert werden. So können auch Sonderzeichen für Fertigungszeichnungen in die Texterkennung integriert werden.
Auch bei der Symbolerkennung wird auf Künstliche Intelligenz (KI) gesetzt. Eine der heute performantesten Bildbibliotheken ist »You only look once« (YOLO). Diese auf künstlichen neuronalen Netzen basierende Architektur ermöglicht ein Training von KI-Modellen mit Bildern. Im Rahmen des Projektes wurde YOLO genutzt, um eine vordefinierte Symbolbibliothek zu trainieren und damit in Zeichnungen Symbole zu erkennen.
Mit der in Abbildung 2 dargestellten Text- und Symbolerkennung ist der entwickelte Ansatz in der Lage, einen Großteil der Informationen aus den Zeichnungen auszulesen. Viele der Texte und Symbole stehen in einem Zusammenhang, der ebenfalls automatisch erkannt werden sollte. Aus diesem Grund werden Texte und Symbole über ihre Position und die in Abbildung 3 dargestellten Boxen zusammengeführt. Da fehlerhafte Erkennungen kostenintensive Folgen haben können, wurde eine Logik zur Plausibilitätskontrolle entwickelt, die beispielsweise Maße im Bereich des Schriftfelds als Fehler ausgibt. Hier besteht jedoch noch großes Potenzial für die Weiterentwicklung und Optimierung.
Über KI-basierte Bilderkennung ist das im Projekt entwickelte System somit in der Lage, Texte und Symbole aus Zeichnungen auszulesen und zusammenzuführen. Die Erkennungsrate liegt bei etwa 70 Prozent. Ein Regelwerk reichert die Texte und Symbole mit Informationen an.
Welches Ziel verfolgen wir mit der Umsetzung?
Mit der Umsetzung des Ansatzes wird das Ziel verfolgt, das weit verbreitete Medium der Fertigungszeichnung auch in den digitalen Planungsketten nutzbar zu machen. Im Speziellen ermöglicht dies die schnelle Interpretation und Kategorisierung von Zeichnungen für eine digitale Weiterverarbeitung in Arbeitsplanung und Fertigung.
Darüber hinaus bietet der Ansatz großes Potenzial für die automatische Ableitung von Regeln aus bereits erzeugten Fertigungszeichnungen und den zugehörigen Arbeitsplänen. Dies soll die Arbeitsplanung weiter automatisieren und somit den Prozess verkürzen. Im Kontext von SE.MA.KI ist die automatische Erzeugung von möglichst vielen alternativen Prozessketten und Arbeitsplänen eine Grundlage, um das Potenzial der Matrixproduktion nutzen zu können.
Serie zur Matrixproduktion
Eine Serie von Beiträgen beschäftigt sich auf interaktiv online mit der Matrixproduktion, einem flexiblen Produktionssystem, das Resilienz und Wandlungsfähigkeit eines Unternehmens erhöht. Erschienen ist in dieser Serie bereits:
- Kein Fehler in der Matrix von Daniel Ranke
- Zuverlässige Durchlaufzeitprognose in der Matrix von Lisa Charlotte Günther
- Automatisierte Prozesskontrolle in der Matrix von Hang Beom Kim und Timo Leitritz
- Selbstlernende Roboter – die matrixfähige Montagezelle von Arik Lämmle
- Prozessablauf zur Rekonfiguration von Matrix-Produktionssystemen von Michael Trierweiler
- Maschinelles Lernen ermöglicht matrixfähige Kommissionierzelle von Felix Spenrath und Richard Bormann
- Autonome Auftragssteuerung mit Reinforcement Learning von Tobias Heinrich Nagel
Im Oktober zeigt Daniel Ranke, wie sich die Materialbereitstellung in der Matrixproduktion kostenoptimal und adaptiv planen lässt.
Dieser Artikel ist im Rahmen von »SE.MA.KI« (Selbstlernende Steuerung einer technologieübergreifenden Matrixproduktion durch simulationsgestützte KI) entstanden. Das Forschungs- und Entwicklungsprojekt SE.MA.KI. wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Förderkennzeichen: L1FHG42421. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren.
Ihr Ansprechpartner
Hang Beom Kim
Mitarbeiter des Forschungsteams Bildverarbeitung
Telefon: +49 711 970-3649