Quelle: BMW Group
»Wir halten, was wir versprechen«
Als Abteilungsleiter Energie und Umweltschutz im Bereich Immobilienmanagement der BMW Group weiß Hans Seiler, wo die grüne Transformation bereits wirkt und wo es noch viel zu tun gibt. Er und Sabine Zelch, die die Nachhaltigkeit in der Produktion verantwortet, setzen gemeinsam mit dem Einkauf und der Planung die Strategie des Münchner Konzerns um.
»Was Altes für die Zukunft erhalten« – das ist zumindest privat die Devise von Hans Seiler. Wahrscheinlich für die nächsten anderthalb Jahre. Denn in dieser Zeit restauriert der gebürtige Hamburger und zweifache Familienvater ein denkmalgeschütztes Haus aus dem 15. Jahrhundert. Derzeit wird das Fachwerk auseinandergenommen – und anschließend wiederaufgebaut. Dafür bekommt er sogar eine Förderung vom bayerischen Staat.
Sabine Zelch ist auch zukunftsgerichtet unterwegs. Für ihr Haus nutzt sie Erdwärme. Aktuell verbringt die gebürtige Niederbayerin viel Zeit mit ihrem jungen Pferd und lernt, welche Wirkung sie auf das Tier hat. Denn Pferde brauchen ein Leittier. Übersetzt: eine Führungspersönlichkeit. Beste Voraussetzungen, um auch im Job die Mannschaft zum Mitgestalten anzuregen.
Intrinsisch motiviert – seit 1971
So viel Anregung braucht es gar nicht. Denn bei der BMW Group ist Nachhaltigkeit seit jeher fest im Unternehmen verankert. Bereits seit 52 Jahren gibt es einen Nachhaltigkeitsmanager im Unternehmen. Man hat früh begonnen, sich mit dem Zusammenspiel von Produktion, Natur und Gesellschaft zu beschäftigen. Im Jahr 2006 wurden erstmals Umweltziele wie Wasserverbrauchs- und Energieeffizienzziele vereinbart. Mittlerweile ist der Nachhaltigkeitsbericht fester Bestandteil des integrierten Konzernberichts.
»Wir folgen dem CO2-Reduktionspfad nach fest definierten Maßstäben der Science Based Target Initiative. Mit den Berichtspflichten des European Sustainability Reporting Standards, kurz ESRS, sind die Ziele und Berichte nicht freiwillig, sondern verbindlich. Sie gelten für alle Werke und Büros der BMW Group, egal ob in München, Toronto, Shenyang oder Helsinki«, erläutert Seiler. »Wir sind in Deutschland börsennotiert. Die hierzulande geltenden Standards sind somit Pflicht für unsere Dependancen rund um den Globus.«
Nachhaltigkeit ist kein Add-on
Was sich per se als schwierig umsetzbar anhört, ist für Zelch und Seiler gelebte Praxis. Auch wenn der Weg dahin lang war. »Es war nicht immer ganz einfach, sich gegen altes Denken durchzusetzen. Getreu dem Motto: Strom kommt aus der Steckdose, Gas aus der Leitung«, resümiert Seiler. »Das Wichtige ist, dass wir es geschafft haben, vor allem in den letzten Jahren, das Top-Management zum Thema Energie komplett einzubinden.« Zelch ergänzt: »Nachhaltigkeit ist kein Sonderthema, kein Add-on, sondern ein Must-have. Den Sinn zu erklären und es in bestehende Prozesse, in das Denken der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einzubauen, war ein wichtiger Schritt«.
Um operativ PS auf die Straße zu bekommen und zu schauen, wie sich die strategisch festgelegten Ziele auch praktisch umsetzen lassen, agieren Zelch und Seiler in einer – wie sie es selbst sagen – Leistungsgemeinschaft. Gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen aus den Bereichen Planung, Strategie und Einkauf stimmen sie sich in wöchentlichen Meetings ab. »Unser Team ist natürlich auch dabei. Zusammen challengen wir die BMW-Leitlinien und Pfade zum Thema Nachhaltigkeit und stellen uns Fragen wie: Was hilft es uns? Was kostet es? Aus all den Gedanken picken wir uns dann die beste Lösung heraus«, beschreibt Zelch das Vorgehen. In jedem BMW-Werk gibt es einen Ansprechpartner für das Thema Nachhaltigkeit. So wird die globale Denke lokal bestmöglich praktiziert.
Zero Waste als Vision
Von der Vision der sogenannten Ultraeffizenzfabrik, wie sie Fraunhofer einmal definiert hat, sind Zelch und Seiler noch entfernt. Aber die Handlungsfelder Energie, Material, Emissionen, Mensch und Organisation im Kleinen wie im Großen zu optimieren, ist der klare Auftrag. In der BMW »iFACTORY«, die sich Lean, Green und Digital auf die Fahne geschrieben hat, wird die Produktion der Zukunft bereits heute unter die Lupe genommen. Mehr noch: ausprobiert. »Wir schauen, dass die Prozesse ressourcenoptimiert und verschwendungsfrei sind. Und die Digitalisierung ist der Enabler, dies umzusetzen«, führt Zelch aus.
Für Seiler ist die Produktion, der Shopfloor, salopp formuliert, die perfekte Spielwiese, um Themen wie die Energieerzeugung oder die Energiebilanz vom Anfang bis zum Ende durchzuexerzieren. Er nennt drei Beispiele. Stichwort: Wärme-Rückgewinnung. Betrifft unter anderem Schmelzereien und Gießereien in Landshut oder auch Lackieranlagen in München. Hier wird Energie gebündelt und in den Kreislauf zurückgespielt. Stichwort: Trinkwasservermeidung. Hier wird Brauchwasser aufgefangen, aufbereitet und für diverse Prozesse verwendet. Stichwort: Späne von einem spanabhebenden Prozess. Diese werden gesammelt und laufen in die Zirkularität zurück. Wertvolle Rohstoffe werden dadurch gespart.
Und was unternehmensintern anfängt, hört bei den Zulieferern nicht auf. »Unsere CO2-Zielsetzungen gelten auch für alle Partner, mit denen wir zusammenarbeiten. Das beginnt bereits beim Einkauf«, so Seiler. Hinzu kommt das Lieferkettengesetz, das die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten und die unternehmerische Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten adressiert.
Blick über den Tellerrand
Doch Vorschriften, Regularien und definierte Standards allein reichen nicht aus, um ins Handeln zu kommen beziehungsweise im Handeln zu bleiben. Für neue Ansätze, Ideen und Perspektiven blicken Zelch, Seiler und ihre Teams gern über den Tellerrand und holen sich Erfahrung, Inspiration und Know-how von außen. Von außen heißt auch von der angewandten Forschung.
Ultraeffizienz – was ist das?
Ultraeffizienz ist die Vision einer symbiotisch-verlustfreien Produktion in einer lebenswerten Umgebung. Der Ansatz bringt Effizienz (so wenig wie möglich) und Effektivität (ökologisch möglichst unbedenklich) miteinander in Einklang und entwickelt sie weiter zur Ultraeffizienz. Damit steht nicht mehr nur die Produktion im Fokus der Betrachtung, sondern auch ihr Umfeld.
Der gesamtheitliche Ansatz verfolgt das Ziel, auf technisch höchstem Niveau effizient und effektiv zu produzieren, dabei die Umweltbelastung zu minimieren oder zu vermeiden und die dabei zwangsweise auftretenden Zielkonflikte zu lösen. Was wird dabei konkret angestrebt? Zum Beispiel verschwendungsfrei zu produzieren, Synergien mit dem urbanen Umfeld herzustellen, Ressourcen ökonomisch, ökologisch und sozial einzusetzen, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und über Bestehendes hinauszudenken.
Das Konzept der Ultraeffizienzfabrik unterscheidet fünf Handlungsfelder: Energie, Material, Emissionen, Mensch und Organisation. In diesen fünf Bereichen liegt das Potenzial zur Optimierung. Entscheidend ist, dabei eine gesamtheitliche Betrachtungsweise einzunehmen. Das bedeutet einerseits sämtliche Handlungsfelder einzuschließen, also alle im Einzelnen und gemeinsam in der Zusammenschau zu überprüfen. Andererseits ist damit gemeint, nicht am Werktor Halt zu machen, sondern das Umfeld als lebenswerte Umgebung mitzudenken. In dieser integrativen Perspektive unterscheidet sich die Ultraeffizienzfabrik von anderen Konzepten.
Zwischen den fünf Handlungsfeldern sollen keine miteinander konkurrierenden Handlungsstränge erzeugt werden. Bei deren Optimierung sollen vielmehr sämtliche Zusammenhänge und Wechselwirkungen beachtet werden. Eine Verbesserung in einem Feld sollte möglichst keine Belastung in einem anderen mit sich bringen. Dadurch, dass der Fokus nicht isoliert auf ein einzelnes Handlungsfeld, sondern auf das ganze Unternehmen gerichtet ist, entstehen automatisch Zielkonflikte. Sie sollen von Vornherein mitbedacht und adressiert werden.
»Mit einem Fraunhofer-Institut in Leipzig haben die Kollegen des Werkes im Technologie-Bereich Oberfläche in einem Projekt produktionsseitig das Thema Wasserstoff angeschaut. Konkret ging es darum, zu erfahren, inwieweit ein Brenner in einer Lackieranlage bivalent, also sowohl mit Erdgas als auch mit Wasserstoff, betrieben werden kann«, berichtet Seiler. Für ihn steht und fällt alles mit der technischen Machbarkeit. Denn nur auf dem Papier bringen solche Vorstöße nichts.
Praxisnah war auch ein Brainstorming mit Fraunhofer, bei dem es um den Abgleich des Bedarfs von Energie und Verfügbarkeit ging. Ziel war es hier, am Folgetag bessere Prognosen abgeben zu können. »Wir brauchen Transparenz über Preise und Speicherstände von Energie und intelligentere Systeme für die Energieflusssteuerung, ähnlich wie beim logistischen Wertstromdesign. Nur mit Modellierung, Energiekonzeptdesign und Software-Lösungen ist das handhabbar«, ist Seiler überzeugt.
Zelch steigt inhaltlich auf einer höheren Flugebene ein. Sie berichtet von einer geplanten Workshop-Reihe mit dem Fraunhofer IPA zum Thema Produktion der Zukunft. »Die Aufgabenstellung lautet: Was können wir tun, um in Deutschland wettbewerbsfähig zu bleiben? Diese Frage möchten wir gern gemeinsam mit Professor Thomas Bauernhansl und seinem Team aus dem Lean-Bereich auf verschiedenen Ebenen beantworten.« Im Werk in Dingolfing wurde gemeinsam mit dem Fraunhofer IPA bereits eine Karosseriebauzelle umgesetzt, die mit Gleichstrom funktioniert.
»Die digitale und biologische Transformation der Wirtschaft sind die wesentlichen Treiber, um Konzepte wie die Ultraeffizienzfabrik zu realisieren und die Umweltwirkungen unseres Wirtschaftens drastisch zu reduzieren.«
Professor Alexander Sauer, Institutsleiter des Fraunhofer IPA
Die interne Basis wird breiter
Auch intern macht Zelch die Belegschaft fit für die Zukunft. Dranbleiben ist die Devise, im Idealfall dauerhaft. »Im Rahmen einer Qualifizierungslandkarte – so heißt das bei BMW – bekommen die Mitarbeitenden Trainings zugewiesen. In den klassischen Lean-Trainings haben wir jetzt auch das Thema Nachhaltigkeit integriert. So versuchen wir, immer mehr in die Breite zu kommen«. Auch sogenannte Innovationdays helfen dabei, ein Bewusstsein zu schaffen und Wissen zu vermitteln. »Wir nutzen unterschiedliche Kommunikationsformate für unterschiedliche Zielgruppen«, so Zelch weiter. »Für die technische Planung sind andere Informationen relevant als für die Mannschaft am Band.«
Für Seiler ist es wichtig, zu betonen, dass das Ganze kein Selbstzweck ist. »Bei allem Eifer und Enthusiasmus: Wir sind ein wirtschaftlich denkendes Unternehmen. Da ist Stabilität ein wichtiger Faktor. Somit schauen wir immer, was tun wir, was bringt es und was kostet es uns.« Seiler findet die Geschwindigkeit der hiesigen Gesetzeslage durchaus herausfordernd. Daher ist der enge Draht zu Interessenvertretern wie dem Branchenverband VDA essenziell. Er findet »auf Sicht fahren« wichtig, ohne die Langfriststrategie aus den Augen zu verlieren. »Nachjustieren wird es immer geben. Wir sind technologieoffen in volatilen Zeiten und nehmen natürlich Innovationen, die am Wegesrand entstehen, mit.«
Es ist der vielzitierte Marathon, der ans Ziel führt, auf einem Weg, der nie endet. Ohne Pauken und Trompeten, eher zurückhaltend bodenständig, fast schwäbisch – so endet an diesem sonnigen Herbsttag im Münchner Forschungs- und Innovationszentrum (FIZ) dann auch das Interview. Zelch und Seiler sind sich einig: »In der Verkündung sind wir sehr konservativ. Aber wir halten, was wir versprechen«.
»Effizienz ist Pflicht! Energieflexibilität eröffnet Chancen für eine klimafreundlichere und wirtschaftliche Energienutzung. Mit Digitalisierung erlangen wir die notwendige Transparenz und managen das komplexe Zusammenwirken der Energiesysteme zielgerichtet.«
Timm Kuhlmann, Leiter des Forschungsbereichs Energiesysteme und -speicher am Fraunhofer IPA
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