Asset Administration Shell für KI-Lebenszyklusmanagement in der Produktionsindustrie

Dashboard mit Echtzeit-Daten aus der Produktion

Quelle: Universität Stuttgart IFF/Fraunhofer IPA, Foto: Rainer Bez

Asset Administration Shell für KI-Lebenszyklusmanagement in der Produktionsindustrie

Im Projekt »InterOpera« hat ein Forschungsteam vom Fraunhofer IPA zusammen mit externen Partnern einen Lösungsansatz für das KI-Lebenszyklusmanagement in der Produktionsindustrie entwickelt. Er ermöglicht eine nahtlose Umsetzung, Verwaltung und Nachverfolgung von KI-Modellen und -Daten über den gesamten Lebenszyklus hinweg.

Veröffentlicht am 14.12.2023

Lesezeit ca. 11 Minuten

Weil sie große Datenmengen effizient verarbeiten können, gewinnen in der Welt von Industrie 4.0 Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI)-, insbesondere das Maschinelle Lernen (ML), zunehmend an Bedeutung. Da Daten die zentrale Ressource für datengetriebene Technologien sind, stellen datenbezogene Projekthindernisse im Lebenszyklus der KI ein erhebliches Hindernis für die reibungslose Anwendung industrieller KI dar und mindern somit das Vertrauen in deren breite Nutzung. Neben der Herausforderung, ausreichende Datenmengen und -qualitäten für die Entwicklung hochwertiger KI-Modelle bereitzustellen, ist auch das Management der resultierenden Modelle entscheidend. Dies umfasst die Bewahrung des während des Entwicklungsprozesses erworbenen impliziten Wissens und unterstreicht die Bedeutung eines umfassenden Wissensmanagements über alle Phasen des KI-Lebenszyklus hinweg.

KI-Lebenszyklusmanagement
Quelle: Fraunhofer IPA

Um diesen Herausforderungen zu begegnen, entwickeln Forscherinnen und Forscher vom Kompetenzzentrum DigITools am Fraunhofer IPA in den Forschungsprojekten »InterOpera« und »FabOS« in Zusammenarbeit mit externen Partnern einen neuen Ansatz zum Management des Wissens in einem Digitalen Zwilling des KI-Modells. Sie nutzen dabei die Asset Administration Shell (AAS) als technische Lösung. Dieser Ansatz zielt darauf ab, die Effizienz und Transparenz im Umgang mit KI-Modellen zu erhöhen und so das Vertrauen in die industrielle Anwendung von KI zu stärken.

KI-Lebenszyklusmanagement

Die Verwaltung des KI-Lebenszyklus in der Produktionsindustrie gleicht der Organisation einer gut sortierten Werkstatt. Jedes Werkzeug, jede Maschine und jedes Bauteil muss seinen Platz haben, damit Arbeitsabläufe fließend und ohne unnötige Unterbrechungen stattfinden können. Im Bereich der KI entspricht dies einer strukturierten Verwaltung von Daten, Modellen und Prozessen, um KI-Anwendungen zuverlässig und effizient in die Produktion zu integrieren. Hier kommt es vor allem darauf an, dass alle Schritte von der Datenaufbereitung über die Modellbildung bis hin zum Einsatz und der Wartung nahtlos ineinandergreifen.

Aktuelle Modelle, wie das »Cross-Industry Standard Process Model for Data Mining« (CRISP-DM), bieten zwar einen Rahmen für einzelne Phasen des Datenabbaus, stoßen jedoch an ihre Grenzen, wenn es darum geht, die vielschichtigen Anforderungen eines umfassenden KI-Lebenszyklus abzudecken. »Machine Learning Operations« (MLOps) hat sich als fortschrittliche Praxis etabliert, um KI-Lösungen wartungsfähig und reproduzierbar zu gestalten. Jedoch bedarf es zusätzlicher Werkzeuge und Methoden, um das umfassende Management von KI-Artefakten – von der Codebasis bis hin zu den Trainingsdaten und Modellkonfigurationen – zu gewährleisten.

An diesem Punkt bietet die Asset Administration Shell (AAS) eine zukunftsweisende Lösung. Sie ermöglicht eine einheitliche und standardisierte Erfassung und Verwaltung aller relevanten Informationen und Komponenten entlang des KI-Lebenszyklus. Durch ihre Fähigkeit, unterschiedliche Arten von Artefakten in einem interoperablen Format zu organisieren, schafft sie die Voraussetzung für ein effizientes Asset Management. Mit der AAS können KI-Modelle und die zugehörigen Daten und Metadaten eindeutig identifiziert, zugeordnet und im Kontext der Produktionsumgebung verwaltet werden. Dies reduziert die Komplexität und ermöglicht es, den vollen Wert und das Potenzial der KI in der Produktion auszuschöpfen.

Daten fließen in eine Asset Administration Shell
Quelle: Fraunhofer IPA

Die Asset Administration Shell und deren Teilmodelle schaffen die Interoperabilität

Die AAS wurde als Abbildung des digitalen Zwillings für industrielle Assets auf der Grundlage von internationalen Industrie-4.0-Standards entwickelt. Die Struktur und das Metamodell der AAS wurden in der internationalen Normenreihe IEC 63278 spezifiziert und standardisiert. Die enthaltenen Informationen können in einem zusammengesetzten Dateiformat mit der Erweiterung ».aasx« gespeichert werden und über technologie-spezifische Schnittstellen in AAS ausgetauscht werden.

Ein Teilmodell ist der Hauptinformationsträger der AAS, das einen bestimmten Aspekt des dazugehörigen Assets darstellt. Es ist sowohl für Menschen als auch Maschinen lesbar und ermöglicht damit einen automatisierten Austausch von Informationen durch Software. Ein Teilmodell besteht aus einer hierarchischen Anordnung von mehreren Submodel Elements (SME). Die verschiedenen SME-Typen, unter anderem Property, File, Multi Language Property (MLP) oder Reference Element, erfüllen unterschiedliche Funktionen bei der Beschreibung und Unterscheidung von Assets aus spezifischen Perspektiven. Eine umfassende Liste und Erklärung der SMEs findet sich im aktuellen Entwurf zum Teil 1 der Normenreihe IEC 63278.

Asset Administration Shell mit Teilmodellen
Quelle: Fraunhofer IPA

Die Interoperabilität wird durch die standardisierte Semantik und Syntax der AAS gewährleistet. Die Syntaxspezifikationen beziehen sich auf das standardisierte Metamodell der AAS sowie auf standardisierte Teilmodellvorlagen, die die Regeln und das Format für die Strukturierung und Darstellung der Daten für die entsprechenden Anwendungsfälle festlegen. Die Entwicklung von Teilmodellvorlagen wird hauptsächlich innerhalb der AAS-Gemeinschaft vorangetrieben. Hierzu gehören Akteure wie die Nutzerorganisation Industrial Digital Twin Association (IDTA), die nationalen Projekte wie InterOpera oder Catena-X, die entsprechenden Spiegelgremien in DKE/VDE-Gremien sowie die Plattform Industrie 4.0. Die standardisierten Teilmodellvorlagen werden kontinuierlich von den entsprechenden Arbeitsgruppen weiterentwickelt und aktualisiert. Die Semantik bezieht sich auf die gemeinsame Bedeutung und den Kontext der in der AAS enthaltenen Informationen. Dies wird unter anderem durch die Verwendung von standardisierten Merkmalen geregelt. SMEs der Teilmodelle können über eindeutige Identifikationen auf die bestehenden standardisierten Datenspezifikationen wie dem IEC Common Data Dictionary (CDD) und ECLASS verweisen. Damit soll sichergestellt werden, dass die Daten in verschiedenen Systemen und Kontexten konsistent und sowohl von Menschen als auch von Maschinen korrekt interpretiert werden.

AAS Teilmodell-Vorlage für KI-Lebenszyklusmanagement

Ein erstes Konzept von drei AAS-Teilmodellen für das KI-Lebenszyklusmanagement wurde im Rahmen des Forschungsprojekts FabOS entwickelt. Die Teilmodelle wurden im Projekt InterOpera-durch eine Expertengruppe weiterentwickelt und als AI ModelNameplate, AI Deployment und AI Dataset bezeichnet.

Das AAS-Teilmodell AI Model Nameplate ist wie ein Typenschild für KI-Modelle in der Produktionsindustrie. Es standardisiert, wie Informationen über KI-Assets zwischen Partnern im Wertschöpfungsnetzwerk ausgetauscht werden. Das Hauptziel dieses Teilmodells ist es, die Dokumentation von KI-Modellen zu unterstützen und das Management des KI-Lebenszyklus zu vereinfachen. Durch die Bereitstellung einer standardisierten Struktur zur Dokumentation von KI-Modellen wird ein effizientes Management unterschiedlicher Modelle ermöglicht. Dies fördert zudem die Wiederverwendung bereits trainierter Modelle. Das Teilmodell enthält wesentliche Informationen, etwa über die verantwortliche Person für das Modell, und bietet somit einen direkten Ansatzpunkt, um zusätzliche Informationen zum Modell zu erhalten. Außerdem werden wichtige Trainingsinformationen dokumentiert, wie beispielsweise die Lernrate. Diese Daten allein bieten allerdings noch keinen Aufschluss darüber, ob die gewählten Parameter auch sinnvoll sind. Für eine qualifizierte Beurteilung sind KI-Experten notwendig, die die dokumentierten Trainingsparameter bewerten können. Es ermöglicht ein erneutes Training, um ein identisches KI-Modell rekonstruieren zu können.

Teilmodell ModelNameplate
AAS-Teilmodell ModelNameplate. (Quelle: Fraunhofer IPA)

Das AAS-Teilmodell AI Deployment dient als Wegweiser für die Integration und Inbetriebnahme von KI-Modellen in der Produktionsumgebung. Dieses Teilmodell erfasst alle erforderlichen Parameter und Informationen, die für die Einbindung eines KI-Modells in seine Zielumgebung notwendig sind. Es liefert wichtige Angaben, wie zum Beispiel den Speicherpfad des Modells, was den Zugriff und die Verwaltung vereinfacht. Neben den grundlegenden Informationen über die Modellzugriffe, beinhaltet dieses Teilmodell auch Details zu den Ein- und Ausgabespezifikationen des Modells. Diese sind entscheidend, um zu verstehen, wie das Modell mit Daten umgeht und welche Ergebnisse es liefert. Darüber hinaus werden auch die benötigten Hardwareanforderungen dokumentiert, um sicherzustellen, dass die Umgebung für den Betrieb des KI-Modells geeignet ist. Das Teilmodell geht noch einen Schritt weiter, indem es auch Daten über die aktive Nutzung des Modells erfasst, wie beispielsweise Informationen zur Laufzeit. Dies ermöglicht es den Technikern und Bedienern vor Ort, die Funktionalität und Leistung des Modells auf Grundlage der beobachteten Parameter zu bewerten und zu optimieren.

Teilmodell Deployment
AAS-Teilmodell Deployment. (Quelle: Fraunhofer IPA)

Das AAS-Teilmodell Dataset dient als umfassendes Verzeichnis für Datensätze, die im Training von KI-Modellen verwendet werden. Es ist darauf ausgelegt, alle notwendigen Informationen bereitzustellen, um die Auffindbarkeit, die Nachvollziehbarkeit und letztlich die Qualität der KI-Trainingsdaten zu gewährleisten. Durch die Verwaltung dieser Daten in einem standardisierten Format können KI-Entwickler und -Anwender die Datensätze effizient identifizieren und nutzen. Im Teilmodell wird der Speicherort des Datensatzes dokumentiert. Aber es geht um mehr als nur um die reine Lokalisierung: Zusätzliche Informationen wie statische Kenngrößen – zum Beispiel Mittelwert oder Median – werden festgehalten. Dies gibt Aufschluss über die zentralen Tendenzen der Daten. Auch das Datenformat, wie etwa ».png« für Bilddateien, und, falls vorhanden, Informationen zu den Labels, werden erfasst. Nicht zu vergessen sind die Umgebungsbedingungen während der Datenerfassung, die beispielsweise Sensoren beeinflussen können, wie Luftfeuchtigkeit oder Temperatur. Diese Einflussfaktoren sind besonders wichtig, da sie die Performance und die Interpretation der durch die KI generierten Ergebnisse beeinflussen können. Bei der Ersterstellung des Datensatzes werden auch Serviceinformationen wie der Ersteller, eine eindeutige ID und das Erstelldatum festgehalten. Eine verantwortliche Person wird benannt, um die Verantwortlichkeit und Ansprechbarkeit zu gewährleisten.

Teilmodell AI Dataset
AAS-Teilmodell AI Dataset. (Quelle: Fraunhofer IPA)

Fazit

Die vorliegenden Teilmodellvorlagen AI ModelNameplate, AI Deployment und AI Dataset bilden zusammen einen Lösungsansatz für das KI-Lebenszyklusmanagement in der Produktionsindustrie. Dies ermöglicht eine nahtlose Umsetzung, Verwaltung und Nachverfolgung von KI-Modellen und -Daten über den gesamten Lebenszyklus hinweg. Sie erleichtern somit die Standardisierung und Automatisierung von Prozessen im KI-Lebenszyklus, reduzieren die Komplexität und schaffen eine Grundlage für Qualität und Effizienz in KI-gesteuerten Produktionsprozessen. Die Projektergebnisse werden auf der Projektwebsite veröffentlicht.

Diese Arbeit ist im Rahmens des Forschungsprojekts InterOpera entstanden, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz unter der Projektnummer 13I40V006C gefördert wird. InterOpera erarbeitet eine standardisierte Umsetzung von Teilmodellen der Asset Administration Shell in der Praxis. Projektbegleiter ist das VDI Technologiezentrum. Durchgeführt wird InterOpera vom Steinbeis Europa Zentrum, dem Fraunhofer IPA und dem vom Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V. (VDE) getragenen Standardization Council Industrie 4.0.

Ihre Ansprechpartner

Olga Meyer

Leiterin des Forschungsteams Interoperabilität für die Produktion
Telefon: +49 711 970-1068

Dachuan Shi

Mitarbeiter des Forschungsteams Interoperabilität für die Produktion
Telefon: +49 711 970-1203

Lukas Rauh

Mitarbeiter des Forschungsteams Interoperabilität für die Produktion
Telefon: +49 711 970-1749