Die leistungsfähige Fabrikplanungsmethodik des Fraunhofer IPA

Ein Blick ins Applikationszentrum Industrie 4.0 am Fraunhofer IPA in Stuttgart

Universität Stuttgart IFF/Fraunhofer IPA, Foto: Rainer Bez

Die leistungsfähige Fabrikplanungsmethodik des Fraunhofer IPA

Fabriken müssen sorgfältig und vorausschauend geplant werden. Ansonsten werden sie schnell zum Millionengrab. Forscher am Fraunhofer IPA haben eine leistungsfähige Fabrikplanungsmethodik mit innovativen Methoden für schlanke und wandlungsfähige Fabriken entwickelt. Wer sie beherzigt, vermeidet teure Fehler.

Veröffentlicht am 17.10.2024

Lesezeit ca. 10 Minuten

Von Klaus Erlach, Christian Kaucher, Sarah Kegler und Michael Lickefett

Wenn für die Fabrikplanung das Gleiche gilt wie für die Produktentwicklung, dann kann man gleich zu Beginn mit überschaubarem Aufwand auch in kleineren Firmen Millionen versenken, sofern sich das erarbeitete Fabrikkonzept als wenig geeignet und noch weniger zukunftsfähig erweisen sollte. Um dies zu vermeiden, benötigt man neben Erfahrung insbesondere ein zielführendes Vorgehen sowie leistungsstarke Methoden. Zur Konzeption schlanker und zukunftsfähiger Fabriken reicht es heute nicht mehr aus, Flächenelemente materialflussorientiert hin- und herzuschieben.

Daher hat das Fraunhofer IPA in den vergangenen Jahren in zahlreichen Forschungs- und Anwendungsprojekten seinen spezifischen Methodenbaukasten für die Fabrikplanung beständig weiterentwickelt. Entstanden ist eine Gesamtmethodik, die sich im Hinblick auf ihre Wertschöpfungsorientierung beim veränderten Vorgehensmodell sowie bei den zahlreichen innovativen Methodenbausteinen als einzigartig erweist.

In fünf Phasen zum validen Fabrikkonzept

Die Fabrikplanungsmethodik des Fraunhofer IPA führt in fünf Phasen zum Fabrikkonzept. In der Potenzialermittlung werden zunächst Fabrik- und Projektziele festgelegt sowie die zur Planung benötigten Daten aufgenommen. In der daran anschließenden Konzeptplanung erfolgen die Optimierung des Produktionssystems, die Ideallayoutplanung und schließlich die Realplanung. Die Methodik ist in ihren Phasen an die VDI-Richtlinie 5200 »Fabrikplanung« angelehnt, weicht jedoch in Teilen davon ab.

Eine Besonderheit der Methodik ist die explizite Betonung der Produktionssystemplanung als eigenständige Phase. Dies trägt der Tatsache Rechnung, dass eine Fabrikplanung immer auch eine einmalige Gelegenheit bietet, die Produktionsprozesse auf den Prüfstand zu stellen und zu optimieren. Andernfalls besteht die Gefahr, in der neuen oder erweiterten Fabrik dasselbe wie bisher zu tun: die gleichen Verschwendungen, nun aber in größerem Maßstab.

Fabrikplanungsmethodik
Die Fabrikplanungsmethodik des Fraunhofer IPA von der Zielfestlegung bis zum Fabrikkonzept. (Grafik: Fraunhofer IPA)

Die Abbildung oben stellt die fünf Phasen der Fabrikplanungsmethodik des Fraunhofer IPA dar. Zur Durchführung der Phasen greift das Fraunhofer IPA auf einen breiten Pool eigens entwickelter oder adaptierter Methoden zurück. Die Kernmethoden sind in der Abbildung den Planungsphasen zugeordnet. In Erweiterung zur VDI-Richtlinie gibt die Fabrikplanungsmethodik des Fraunhofer IPA damit nicht nur vor, was in den Planungsphasen getan werden soll, sondern beantwortet auch die Frage, wie dies getan werden soll.

Welches sind nun die entscheidenden Methoden für Ihr Fabrikkonzept?

Wertstromorientierte Fabrikplanung

Ein Alleinstellungsmerkmal der Fabrikplanungsmethodik des Fraunhofer IPA ist deren Wertstromorientierung. Angelehnt an die von Erlach (2020) im deutschsprachigen Raum etablierte Wertstrommethode richtet sich die Fabrikplanungsmethodik primär an den Bedürfnissen des Kunden aus. Viele Bausteine der bewährten Methode sind in der Fabrikplanungsmethodik des Fraunhofer IPA zu finden – sie zieht sich wie ein roter Faden durch die Methodik.

Bereits in der »Zielfestlegung« wird die Produktfamilienbildung durchgeführt, um schon im Zielsystem eine Kundenorientierung zu verankern. Hierbei teilt man das Produktionsprogramm eines Unternehmens in maximal eine Handvoll Produktfamilien, welche jeweils einen möglichst großen Umfang an ähnlich herzustellenden Produkten eines Unternehmens abdecken. So soll ein für die Planung gut handhabbares Abstraktionsniveau der Produktion erreicht werden, ohne zu grob oder zu fein zu sein.

Die weitere Planung basiert auf eben diesen zu Anfang bestimmten Produktfamilien. In der »Grundlagenermittlung« erfolgt die Wertstromanalyse und in der »Produktionssystemplanung« das Wertstromdesign. Die Wertstromanalyse dient dazu, in einer Fabrik die tatsächlichen Gegebenheiten zu erfassen, ein korrektes und umfassendes Verständnis der Produktionsabläufe zu erhalten sowie direkt erste Verbesserungspotenziale aufzudecken.

Das Ergebnis ist eine auf einem Blatt skizzierte, transparente und übersichtliche Darstellung von Produktionsprozessen sowie Material- und Informationsfluss. Um das Ziel einer wertstromorientierten Fabrik zu erreichen, ist im Wertstromdesign die Ausarbeitung eines verschwendungsarmen Sollzustands der Produktion vorzunehmen. Hierzu stellt die Wertstrommethode von der Kapazitätsdimensionierung und Technologieauswahl über die Gestaltung der Intralogistik bis hin zur Planungs- und Steuerungslogik acht Gestaltungsrichtlinien bereit, die – richtig angewandt – zum Gesamtoptimum des Produktionsablaufs führen.

WertstromDigital

Da der Lebenszyklus einer Fabrik nicht nach deren Planung, Bau, An- und Hochlaufphase endet, hat das Fraunhofer IPA die bewährte Wertstrommethode dahingehend weiterentwickelt, dass sie in Form eines digitalen Werkzeugs Anwendung im laufenden Betrieb einer Fabrik findet. WertstromDigital – kurz WSDi – soll Anwenderinnen und Anwendern im laufenden Betrieb Informationen über den aktuellen Status ihres Produktionssystems liefern und datenbasiert Verbesserungsvorschläge liefern.

Zum Weiterlesen

Erlach, K. (2020): Wertstromdesign – Der Weg zur schlanken Fabrik (3. Auflage)

Strukturplanung mit der Funktions-Beziehungs-Analyse

Innerhalb der nun folgenden »Ideallayoutplanung« ist unter anderem festzulegen, wie die zuvor definierten Funktionseinheiten der Fabrik flussgerecht zueinander angeordnet werden sollten. Klassische Anordnungsmethoden sind dabei auf die Optimierung des Materiaflusses fokussiert und vernachlässigen weitere Flussbeziehungen wie den Personen- und Informationsfluss.

Funktions-Beziehungs-Matrix
Funktions-Beziehungs-Matrix mit zwei Strukturalternativen. (Grafik: Fraunhofer IPA)

Mit der Funktions-Beziehungs-Analyse des Fraunhofer IPA werden alle sechs relevanten Flussbeziehungen in der Funktions-Beziehungs-Matrix erfasst und mit Hilfe des »Set2Flow«-Tools in Funktions-Beziehungs-Diagramme übersetzt. In den Funktions-Beziehungs-Diagrammen können unterschiedliche dimensionslose Strukturalternativen – typischerweise ausgerichtet an grundsätzlichen Layout-Typen wie der I-, L- oder U-Form – getestet und bei Bedarf quantitativ verglichen werden. Die obige Abbildung zeigt an einem Projektbeispiel die Funktions-Beziehungs-Matrix sowie zwei daraus abgeleitete Strukturalternativen in I- beziehungsweise L-Form. Die Strukturalternativen stellen im Anschluss eine wesentliche Eingangsgröße für die Erstellung des Ideallayouts dar. Vertiefende Informationen zur Methode haben wir bereits in einem eigenen Beitrag vorgestellt (siehe nebenstehenden Info-Kasten).

Zum Weiterlesen

Kaucher, C.; Gessert, S. und Erlach, K. (2021): Digitales Werkzeug für die flussorientierte Fabriklayoutplanung, erschienen in interaktiv 2.2021, auch online nachzulesen

Wandlungsfähige Fabriken auf Basis der Monumententheorie

Das Wertstromdesign, die mit Hilfe der Funktions-Beziehungs-Analyse entwickelte Idealstruktur sowie die dimensionierten Funktionseinheiten stellen die wesentlichen Eingangsgrößen für die Erstellung des Ideallayouts dar. Dabei ist jedoch ein weiterer Faktor zu beachten: die Monumente. Als Monumente werden Betriebsmittel bezeichnet, die nach ihrer Erstinstallation einen faktisch unveränderlichen Standort im Werk haben. Dies kann aus den physischen Eigenschaften der Betriebsmittel, speziellen Anforderungen an das Fabrikgebäude oder genehmigungsrechtlichen Herausforderungen resultieren. Typische Beispiele für Monumente sind Lackier- oder Galvanikanlagen.

Aufgrund ihres unveränderbaren Standorts muss Monumenten bei ihrer Platzierung im Rahmen der Layoutplanung besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Ganz grundsätzlich gilt hier, dass Positionen in Eck- oder Randlagen zu bevorzugen sind. In Abhängigkeit der Produktionsstufen sowie der Anzahl an Monumenten ergeben sich dann unterschiedliche Layoutformen, wobei die die I-, L- oder U-Form die Basisformen darstellen.

Monumententheorie illustriert am I- und L-Layout einer Fabrik
Monumententheorie illustriert am I- und L-Layout. (Grafik: Fraunhofer IPA)

Der Zusammenhang soll an einem Beispiel demonstriert werden (siehe Abbildung oben). Angenommen wird eine zweistufige Produktion aus Fertigung und Montage mit einem Monument – beispielsweise einer Lackieranlage – zwischen den beiden Produktionsstufen. Wenn in diesem Fall ein I-Layout gewählt wird, wird das Monument bei Veränderungen des Flächenverhältnisses zwischen Fertigung und Montage immer störend wirken: Keiner der Bereiche kann wachsen, ohne dass das Monument dadurch im Weg steht. Andererseits entsteht bei einer Verkleinerung eines Bereichs eine Totfläche zwischen dem Bereich und dem Monument. Weiterhin müssten bei einer Erweiterung der Fabrik immer beide Bereiche in gleichem Maße wachsen. Eine bessere Lösung stellt hier ein L-Layout dar, bei dem das Monument in einer Ecke platziert wird. In diesem Fall können beide Bereiche weitgehend unabhängig vom Monument ihre Größe verändern. Auch bei einer Erweiterung der Fabrik muss das Verhältnis nicht beibehalten werden; die Grundform bleibt immer erhalten.

Zum Weiterlesen

Erlach, K. (2017): Wege zur zukunftsfähigen Fabrik, erschienen in interaktiv 2.2017

Erlach, K. (2020): Wertstromdesign – Der Weg zur schlanken Fabrik (3. Auflage)

Erlach, K. & Foith-Förster, P. (2014): Dimensionierung wandlungsfähiger Fabriken, erschienen in ZWF Heft 3 2014

Monumente können übrigens auch im Rahmen der Produktionssystemplanung genutzt werden, um die maximale Fabrikgröße zu definieren. Mehr dazu sowie zur Monumententheorie findet sich in den angegebenen Büchern und Beiträgen (siehe Info-Kasten oben).

Visualisierung von Fabrikkonzepten

Die Visualisierung spielt in der Fabrikplanung eine wichtige Rolle. Dabei kommen typischerweise Standard-Visualisierungen wie die Wertstromkarte oder klassische Layoutdarstellungen zum Einsatz. Projektspezifisch können jedoch auch andere Arten der Visualisierung erforderlich sein. Diese können dazu dienen, das Planungsergebnis zu verbessern. Hier setzt das Fraunhofer IPA beispielsweise die Mixed-Reality-Fabrikplanungsanwendung »HoloLayouts« ein, um auch bei beengten Platzverhältnissen gut umsetzbare Real- und Detaillayouts zu erzeugen.

3D-Visualisierung eines Fabrikkonzepts
3D-Visualisierung eines Fabrikkonzepts. (Grafik: Fraunhofer IPA)

Weiterhin ist die Kommunikation der erzeugten Fabrikkonzepte an die Belegschaft und das Management von großer Wichtigkeit. Hierzu erstellen die Fabrikplaner des Fraunhofer IPA bei Bedarf 3D-Visualisierungen wie beispielsweise in der obigen Abbildung dargestellt. Darüber hinaus kommen gerade bei strategischen Projekten mit oftmals tiefgreifenden Veränderungen so genannte Konzept-Landkarten zum Einsatz. Dabei handelt es sich um comichaft gezeichnete Visualisierungen, die die wesentlichen Informationen einprägsam darstellen. Mehr zur Planungsanwendung »HoloLayouts« sowie zu den Konzept-Landkarten findet sich in den angegebenen Beiträgen (siehe nebenstehenden Info-Kasten).

Zum Weiterlesen

Kaucher, C. & Riexinger, G. (2022): »HoloLayouts« macht Fabrikplanung virtuell erlebbar, erschienen in interaktiv 1.2022, auch online nachzulesen

Ungern-Sternberg, R. & Cuk, E. (2020): Die Fabrik der Zukunft – für alle erklärt, erschienen in interaktiv 3.2019

Anwendung für Planungsaufgaben und Leitfadenentwicklung

Die Fabrikplanungsmethodik des Fraunhofer IPA wird bereits seit vielen Jahren erfolgreich in zahlreichen Projekten mit Industriekunden aus unterschiedlichsten Branchen angewendet – vom Rohstahl bis zur Schokolade. Dabei entwickeln die Forscherinnen und Forscher vom Fraunhofer IPA ihre Methoden beständig weiter, unter anderem auch zur Anwendung in Spezialfällen wie im Bergbau oder der Instandhaltung. Für Firmen mit eigenen Planungsabteilungen entwickeln sie maßgeschneiderte Fabrikplanungsleitfäden mit Methodenspezifizierung, Auswahl von Planungswerkzeugen und dem Entwurf von skalierbaren Referenzfabriken.

Aufbauend auf den theoretischen und praktischen Inhalten bietet das Fraunhofer IPA Seminare zu den Themen Fabrikplanung, Wertstromdesign, Wertstromlogistik und Standortrollen an. Teilnehmende bekommen so das notwendige Wissen vermittelt, um ihr Projekt erfolgreich umzusetzen. Am Ende ist jedoch klar: Egal ob im Bereich Forschung, in einem konkreten Industrieprojekt oder in einem Fachthemenseminar – das Fraunhofer IPA bietet für jeden Bedarf die richtige Unterstützung.

Kommen Sie gerne mit Ihrem Anliegen auf uns zu und wir finden eine Lösung!

       

Ihre Ansprechpartner

Klaus Erlach

Forschungsteamleiter Fabrikplanung und Wertstromdesign
Telefon: +49 711 970-1293

Christian Kaucher

Stv. Forschungsteamleiter Fabrikplanung und Wertstromdesign
Telefon: +49 711 970-1865

Sarah Kegler

Mitarbeiterin des Forschungsteams Fabrikplanung und Wertstromdesign
Telefon +49 711 970-1453

Michael Lickefett

Forschungsbereichsleiter Fabrikplanung und Produktionsmanagement
Telefon +49 711 970-1993