Kraftvoll und gesund dank Hightech

Stuttgart Exo-Jacket

Kraftvoll und gesund dank Hightech

Viele Tätigkeiten überfordern den menschlichen Körper und führen auf Dauer zu Verschleiß und Schädigungen. Das Fraunhofer IPA entwickelt seit rund einem Jahrzehnt Exoskelette, also Stützstrukturen, die vor Gesundheitsschäden bewahren.

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Der Film »Terminator« mit Arnold Schwarzenegger als Maschinenmensch war 1984 ein unerwarteter Erfolg. Die Verbindung von Mensch und Maschine regte die Phantasie an. Die Wirklichkeit ist profaner – aber nicht weniger spannend. Experten sprechen von Exoskeletten oder Exosuits. Das sind Stützstrukturen, die man wie einen Anzug überzieht, um Schwachstellen auszugleichen, den Menschen leistungsfähiger zu machen oder ihn vor Gesundheitsschäden durch Überlastung zu bewahren. Schon vor einem halben Jahrhundert tüftelte das amerikanische Militär an einem Exoskelett, das Soldaten in die Lage versetzen sollte, stundenlang mit schwerem Gepäck zu marschieren. Inzwischen profitiert auch die Medizin von dieser Technologie. Menschen mit Lähmungen können mithilfe der äußeren Stütze wieder laufen.

Das Fraunhofer IPA entwickelt seit rund einem Jahrzehnt Exoskelette. Dabei steht der Gesundheitsschutz von Arbeitern in Fabriken und Werkhallen im Vordergrund. Denn viele Tätigkeiten, etwa Überkopfarbeiten, überfordern den Körper und führen auf Dauer zu Verschleiß und Schädigungen. Muskel-Skelett-Erkrankungen sind in Deutschland die Hauptursache für Arbeitsunfähigkeit. Roboter haben zwar in den vergangenen Jahren für Erleichterung gesorgt, doch diffizile Arbeiten, bei denen Fingerfertigkeit und Kreativität gefragt sind, müssen noch immer von Menschen erledigt werden. »Man hat inzwischen gemerkt, dass die Flexibilität des Menschen nicht so einfach zu ersetzen ist«, so Mark Tröster, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Gruppe Physische Assistenzsysteme und smarte Sensoren der Abteilung Biomechatronische Systeme am Fraunhofer IPA. Zudem sorge der demographische Wandel dafür, dass ältere Mitarbeiter immer unverzichtbarer werden. Um die Gesundheit bis ins Rentenalter zu erhalten, sind aktive und passive Hilfen verfügbar.

Passive Stützfunktion

Das passive Exoskelett, das über keinen Antrieb verfügt, hat sich bereits in der Praxis bewährt und ist für manche Tätigkeiten sogar vorgeschrieben. Je nach Anforderung sind unterschiedliche Varianten verfügbar. Für Überkopfarbeiten gibt es ein Gurtsystem, das wie ein Rucksack umgeschnallt wird und den Armen eine Stütze liefert. Aufgrund des Gewichts von etwa zwei Kilogramm ist ein hoher Tragekomfort gegeben. Und wer das Exoskelett momentan nicht benötigt, kann die Arme problemlos nach unten drücken, während die Gegenkraft stetig abnimmt. Ein anderes System, das beim Heben schwerer Lasten hilft, reicht bis unters Kniegelenk. Somit wird nicht nur der Rücken des Werkers unterstützt, sondern der Träger durch einen mechanischen Kniff auch gezwungen, in die Knie zu gehen, wenn er sich nach vorne neigt. Das ungesunde Heben aus der Hüfte wird somit verhindert.

Stuttgart Exo-Jacket

Aktive Unterstützung

Anspruchsvoller sind aktiv angetriebene Exoskelette, die der-zeit am Beginn ihres Markteintritts stehen. Sie verstärken die Muskelkraft unter anderem mithilfe von Elektromotoren. Dies erfordert einen nicht zu unterschätzenden technischen Aufwand, weil Aktoren, Batterien und Sensoren nötig sind. Vor allem muss die Maschine erkennen, wann sie ihre Motoren in Bewegung setzen soll. Das ist keineswegs trivial. Aktuelle Forschungsarbeiten beschäftigen sich damit, wie das System automatisch feststellt, wann eine Last gehoben werden soll und wie schwer diese ist. Dafür werden verschiedene Bewegungs- und Biosignalsensoren untersucht. Dies führt soweit, dass elektrische Signale an den Nerven ausgelesen werden, die zum Muskel führen. So wird die Maschine gewissermaßen zu einem Teil des Körpers. Wichtig ist auch, dass die Stützstruktur den Träger nicht behindert, wenn keine Arbeit an-steht. Dann soll das Exoskelett den Bewegungen des Trägers folgen, als wäre es gar nicht vorhanden.

Stuttgart Exo-Jacket

Stuttgarter Exo-Jacket 2.0

Das IPA-Team hat das »Exo-Jacket« entwickelt, das diese Vor-gaben größtenteils erfüllt. Indem das Exo-Jacket Arme und Schultern aktiv unterstützt und dem Rücken Halt gibt, hilft die Entwicklung beim Handhaben von Lasten. Mit diesem System soll niemand zum Superman werden. Vielmehr geht es darum, das Heben, Halten und Tragen von Lasten, die man auch ohne Unterstützung meistern könnte, zu erleichtern. Der Mitarbeiter soll seine Muskeln durchaus noch spüren. Das Unterstützungssystem versucht mit seinen vier Antrieben bis zur Hälfte des Gewichts der zu handhabenden Last zu kompensieren. Wichtig ist dabei, dass immer das ergonomisch vertretbare Maximalgewicht gemäß der deutschen Lastenhandhabungsverordnung eingehalten wird. Noch ist dieser Forschungsprototyp aller-dings zu schwer für den täglichen Gebrauch. Tröster: »Das Eigengewicht spielt für die Akzeptanz eine große Rolle.« Mit konsequenter Leichtbauweise ließen sich aber noch ein paar Kilo abspecken.

Ergonomische Analyse von Arbeitsprozessen

Für ein Unternehmen ist es nicht leicht, zu entscheiden, ob eine Tätigkeit den Mitarbeiter überfordert und welche Lösung optimal ist. Hier können Mitglieder des IPA-Teams helfen, in-dem zunächst beurteilt wird, ob man die Arbeitsabläufe verändern kann, um Tätigkeiten des Mitarbeiters zu optimieren. Manchmal genügen organisatorische oder technische Änderungen, etwa Arbeitsplatzrotationen, den Arbeitstisch anzuheben oder das zu bearbeitende Werkstück zu drehen. Wenn dies nicht möglich ist, vermessen die Stuttgarter Spezialisten die Bewegungsabläufe des Mitarbeiters direkt vor Ort und speisen die Daten in ein kinetisches Menschmodell ein. So lassen sich die Belastungen in jedem Gelenk und jedem Muskel berechnen – und entscheiden, welches Exoskelett angemessen ist. Eine spezielle Anwendung hat die IPA-Crew bereits im Visier: Im Rahmen des Forschungsprojekts »ExoPflege« will sie in Kooperation mit drei Unternehmen ein komfortables aktives Exoskelett entwickeln, das Pflegern das Umbetten von bewusstlosen oder narkotisierten Patienten erleichtert.

Human in the Loop Evaluation

Ihr Ansprechpartner

Ph.D. Christophe Maufroy

Leiter der Gruppe Physische Assistenzsysteme und smarte Sensoren
Telefon: +49 711 970-1167

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