Quelle: Fraunhofer IPA/Adobe Stock
Gestaltung resilienter Produktionsnetzwerke
Die Komplexität des Managements von Produktionsnetzwerken erhöht sich mit der Anzahl der Fabrikstandorte. Unternehmensspezifische Standortrollen können dabei helfen, diese Komplexität zu reduzieren und ermöglichen eine agile Entwicklung und Gestaltung von Fabriken in Produktionsnetzwerken.
Veröffentlicht am 09.11.2023
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Die zunehmende Globalisierung der vergangenen Jahrzehnte hat dazu geführt, dass Unternehmen Werke im In- und Ausland aufgebaut und ihr Produktionsnetzwerk erweitert haben. In vielen Fällen hat jedes dieser Werke die Maximierung der eigenen Wirtschaftlichkeit als Ziel verfolgt. Aufgrund sich stetig ändernder Anforderungen innerhalb und außerhalb eines Unternehmens, entwickelten sich auch die Standorte mit der Zeit weiter. Die Folge sind historisch gewachsene und heterogene Strukturen im Netzwerk. Mit zunehmender Größe des Netzwerks führt diese Heterogenität zu einer erhöhten Komplexität, was das Netzwerkmanagement deutlich erschwert.
Performance des gesamten Netzwerks wettbewerbsentscheidend
Viele Unternehmen erkennen inzwischen, dass die reine Maximierung der einzelnen Werkkennzahlen unabhängig voneinander nicht zielführend ist. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Unternehmen hingegen die Performance des gesamten Netzwerks in den Mittelpunkt stellen. Hierfür ist ein integraler Management-Ansatz zur Aufgabenverteilung zwischen den Werken notwendig, der die Komplexität des Netzwerks beherrschbar macht. Dieser bedeutet im Vergleich zur individuellen und unabhängigen Leitung jedes einzelnen Standorts jedoch erhöhte Koordinierungsaufwände.
Standortrollen reduzieren Koordinationsaufwand
Sogenannte Standortrollen können dabei helfen, die Komplexität, insbesondere großer Produktionsnetzwerke, zu reduzieren und damit die Koordinierungsaufwände eines integralen Management-Ansatzes zu verringern. Existierende Standortrollenansätze haben jedoch das Problem, dass sie sich häufig auf einer strategischen Ebene bewegen und generische Rollen definieren. Dies schränkt ihre praktische Anwendbarkeit deutlich ein. Denn generische Standortrollen sind unabhängig von unternehmensspezifischen Eigenschaften und lassen in der Regel keine klaren Implikationen für eine detaillierte Aufgabenverteilung zu.
Vier Fähigkeiten für ein resilientes Produktionsnetzwerk
Das Fraunhofer IPA hat ein Vorgehen entwickelt, das die Ableitung unternehmensspezifischer und produktionsprozessorientierter Standortrollen ermöglicht. Die Standortrollen sind einerseits individuell auf die spezifischen Anforderungen eines Unternehmens abgestimmt. Andererseits können aufgrund der Produktionsprozessorientierung der Standortrollen fabrikplanerische Rückschlüsse auf die Gestaltung eines Werks am Standort gezogen werden.
Das entwickelte Standortrollenkonzept des Fraunhofer IPA bietet Unternehmen die Möglichkeit, ein resilientes Produktionsnetzwerk zu gestalten, das auf disruptive Marktänderungen agil reagieren kann. Voraussetzung hierfür sind vier Fähigkeiten, die durch die Rollenkonzeptionierung erreicht werden können:
- Allokierbarkeit: die Fähigkeit eines Produktionsnetzwerks, Stückzahlen und die damit verbundenen Kapazitäten zwischen Standorten zu verlagern.
- Machbarkeit: die Fähigkeit eines Produktionsnetzwerks und seiner Standorte, seine Wertschöpfungsbreite und/oder Wertschöpfungstiefe anzupassen.
- Qualifizierbarkeit: die Fähigkeit, neue Kernkompetenzen im Produktionsnetzwerk aufzubauen, Kernkompetenzen an Standorte zu übertragen oder bestehende Kernkompetenzen auf neue Produkte anzuwenden.
- Diversität: die Fähigkeit, durch Standortprofilbildung und die gezielte Verteilung von Aufgaben und Kompetenzen zwischen den Standorten die Effizienz eines Produktionsnetzwerks zu steigern.
Klare Aufgabenverteilung durch die Standortrollen
Darüber hinaus bietet das vom Fraunhofer IPA entwickelte Standortrollenkonzept weitere Vorteile. So können beispielsweise Redundanz von Betriebsmitteln, Fähigkeiten, Funktionen und Kompetenzen im Netzwerk reduziert werden, indem jedem Standort eine spezifische Standortrolle und damit eine klare Aufgabenverteilung vorgegeben wird. Die Standortrollen können den Werken jeweils einen klar definierten Zielzustand und Entwicklungspfade aufzeigen. Die Produktionsprozessorientierung der Standortrollen ermöglicht die strukturelle Umgestaltung der Werke, um entwickelte Netzwerkkonfigurationen schnell und einfach in die Realität umzusetzen.
Anwendung in der Praxis
In mehreren Projekten hat das Fraunhofer IPA das entwickelte Vorgehen bereits angewandt und erprobt. Für einen global tätigen Automobilzulieferer konnten beispielsweise drei Standortrollen entwickelt werden, die eine Strukturierung des Produktionsnetzwerks ermöglichten und klare Verantwortlichkeiten im Netzwerk definierten. Dadurch wurde die Komplexität des Netzwerks deutlich reduziert und für jedes Werk ein Leitbild geschaffen, das die Kommunikation der Rolle und der Entwicklungspfade deutlich vereinfachte. Darüber hinaus sind unnötige Redundanzen im Netzwerk abgeschafft und die Leistungsfähigkeit des Netzwerks erhöht worden. In einem weiteren Projekt mit einem Unternehmen der Wartung und Instandhaltung von Zügen konnte für die zahlreichen unterschiedlichen Werke zwei Rollen definiert werden. Hierdurch wurde es möglich, die Werke zu standardisieren, was die Aufwände bei der Umgestaltung und Erweiterung des Produktionsnetzwerks deutlich reduzierte.
Seminar am 16. November 2023: Produktionsprozessorientierte Netzwerkentwicklung mit Standortrollen
Das Fraunhofer IPA hat, basierend auf dem eigenen Vorgehen, ein Seminar entwickelt, das den Teilnehmern die Methoden für eine produktionsprozessorientierte Netzwerkentwicklung mit unternehmensspezifischen Standortrollen vermittelt. Das Seminar richtet sich insbesondere an Fabrikplaner, Netzwerkmanager und Mitarbeiter mit globalen Verantwortlichkeiten in den Themenfeldern Fabrikplanung, Produktion, Fertigung, Montage, Logistik und Materialwirtschaft. Die Teilnehmer werden befähigt, das aktuelle Produktionsnetzwerk zu analysieren, die für die Standortrollenkonzeptionierung notwendigen Daten zu identifizieren, Netzwerkentwicklungsprojekte zu strukturieren und unternehmensspezifische Standortrollen abzuleiten. Das Seminar findet am 16. November 2023 von 9 bis 17 Uhr am Fraunhofer IPA in Stuttgart-Vaihingen statt.
Ihr Ansprechpartner
Marc-André Berchtold
Mitarbeiter des Forschungsteams Fabrikplanung und Wertstromdesign
Telefon +49 711 970-1780