Nicht zögern, sondern machen!

Portrait Julia Kovar-Mühlhausen

Julia Kovar-Mühlhausen, seit Februar 2021 Leiterin der Klimaschutzstiftung Baden-Württemberg. (Quelle: KD Busch)

Nicht zögern, sondern machen!

Wem bewusst wird, dass ein Flug von Frankfurt nach New York so viele Emissionen erzeugt wie einer Person in einem ganzen Jahr zur Verfügung steht, versteht, dass klimaschädliches Verhalten seinen Preis hat. Ein Preis, der in Zukunft noch steigen wird. Gerade deshalb ist schnelles Handeln so wichtig. Wer nicht beginnt, sich auf den Weg zu machen, der kommt nie ans Ziel.

Veröffentlicht am 13.01.2022

Lesezeit ca. 5 Minuten

Wenn wir in Deutschland etwas machen, dann streben wir nach Perfektion. Das Ausland bewundert uns für unseren Erfindergeist, unsere Disziplin, unsere Ingenieurs- und Handwerkskunst und so manch anderes. »Made in Germany« steht für Premiumqualität. Gerade in Baden-Württemberg haben wir viele Hidden Champions, mittelständische Unternehmen, die in ihrem Segment Weltmarktführer sind. Doch längst werden nicht mehr nur Produkte exportiert. Andere Länder kommen nach Baden-Württemberg, um unser duales Ausbildungssystem kennenzulernen, zu verstehen und vielleicht auch für sich adaptieren zu können.

Wir sind also in vielen Bereichen an der Spitze. Und doch, so scheint es, kommen wir gerade bei einem ganz zentralen Thema dieser Jahre – dem Klimaschutz – kaum voran. Die Auswirkungen, wenn wir nicht handeln, sind wissenschaftlich hinreichend beschrieben. Politisch und gesellschaftlich besteht weitestgehend Konsens, dass wir handeln müssen, um den menschlichen Effekt auf den Klimawandel zu reduzieren, bestenfalls zu stoppen. Die Diskussionen drehen sich hierzulande – teilweise ideologisch aufgeladen – seit Jahren immer nur um das »Wie?«.

Klar dürfte mittlerweile sein: Die eine perfekte Lösung wird es nicht geben. Und der Weg zum Ziel Klimaneutralität ist lang. Wir müssen beginnen, ihn entschlossener zu gehen, und nicht aus Angst, einen falschen Schritt zu machen oder zu stolpern, stehenbleiben. Das gilt für Unternehmen ebenso wie für Bürgerinnen und Bürger. Zu den größten Emittenten gehören nun mal die Industrie- und Wohlstandsstaaten mit vielen Unternehmen.

Deshalb ist es immens wichtig, dass Unternehmen so schnell wie möglich Klimaschutz-Strategien implementieren, um ihre Emissionen in Richtung Null zu reduzieren. Für die allermeisten Unternehmen ist es derzeit nicht möglich, aus eigener Anstrengung – nur durch Reduktion und Vermeidung von Emissionen – vollständig klimaneutral zu werden. Es bleiben fast immer Restemissionen übrig. Diese resultieren zum Beispiel aus Verbrauchsmaterialien wie Papier, aus Abfällen, aus der Fahrzeugflotte oder im produzierenden Gewerbe aus dem Strom- und Energiebedarf.

Das Bewusstsein eines Unternehmers, dass es aus eigener Kraft nicht klimaneutral werden kann, sollte nicht dazu führen, dass es keine Anstrengungen unternimmt. Oder um im Bild zu bleiben: Das Unternehmen sollte beginnen, sich auf den Weg zu machen.

Zur Person

Julia Kovar-Mühlhausen leitet seit Februar 2021 die neue Klimaschutzstiftung Baden-Württemberg, die als Drehscheibe für freiwillige CO2-Kompensation im Land agiert. Die Betriebswirtin verantwortet unter anderem den Aufbau, die strategische Positionierung und Ausrichtung der Stiftung. Zuvor leitete sie zehn Jahre lang die Kommunikation der Baden-Württemberg Stiftung, eine der größten Stiftungen Deutschlands. Auch bei der Klimaschutzstiftung steht die politische Arbeit im Umfeld von zivilgesellschaftlichen Akteuren, Unternehmen und öffentlichen Institutionen im Mittelpunkt.

Twitter: @juliacaroko
LinkedIn: Julia Kovar-Mühlhausen

Pragmatismus vor Perfektion

Viele Unternehmen – auch die großen Konzerne – sind längst unterwegs. Das ist positiv. Um Restemissionen auszugleichen und Klimaneutralität zu erreichen, können Unternehmen diese kompensieren. Immer wieder höre ich, Kompensation sei »Greenwashing« und man dürfe Unternehmen »keinen einfachen Ausweg« aus ihrer Verantwortung für den Klimaschutz bieten. Ich bin da anderer Meinung. Für mich gilt in diesem Fall: Pragmatismus vor Perfektion. Denn mithilfe von CO2-Kompensation kann Klimaneutralität deutlich schneller erreicht werden.

Gute, zertifizierte Kompensationsprojekte sind ein hilfreiches Unterstützungsangebot, um Restemissionen unmittelbar auszugleichen. Darüber hinaus fördert die Kompensation Klimagerechtigkeit, weil sie Klimaschutz durch Technologietransfer in den ärmsten Regionen der Welt ermöglicht, die am wenigsten zum Klimawandel beitragen. Durch die Kompensation können fortschrittliche, klimafreundliche Technologien vor Ort finanziert und Arbeitsplätze geschaffen werden. Die positive Wirkung auf das Klima und die Entwicklung in diesen Ländern ist also insgesamt mit Kompensation ungleich höher als ohne sie.

Meine Erfahrung mit Unternehmen zeigt: CO2-Kompensation gibt Emissionen einen Wert und schafft daher Bewusstsein, was diese kosten beziehungsweise welche Kosten Treibhausgase für unsere Umwelt verursachen. Nichts anderes möchte die Politik mit dem CO2-Preis erzielen: Umweltschäden sollen ins Bewusstsein von Wirtschaft und Öffentlichkeit gelangen. Durch eine ordentlich bepreiste Kompensation passiert genau das: Emissionen erhalten einen Gegenwert, was Unternehmen zusätzlich dazu motiviert, diese kontinuierlich zu reduzieren.

Im besten Fall wird Kompensation in 20 Jahren überflüssig – so zumindest die Theorie. Prognosen des Weltklimarats sagen etwas anderes: Demnach werden selbst im Jahr 2050 global gesehen noch für über eine Milliarde Tonnen CO2-Ausgleichsmaßnahmen unterschiedlicher Natur nötig sein. CO2-Senken, also naturnahe Ansätze wie Wälder oder Moore, die Treibhausgase binden. Technologische Lösungen, die CO2 zum Beispiel aus der Luft absaugen. Aber eben auch immer noch Kompensationsmaßnahmen, die dann seit Jahrzehnten etabliert sein werden.

Global denken, regional anpacken

Für mich ist der Klimawandel die größte Herausforderung unserer Zeit, weil sie global gedacht, aber regional angepackt werden muss. Um möglichst viele Menschen zum Mitmachen beim Klimaschutz zu motivieren, muss verständlich gemacht werden, was jede Einzelne und jeder Einzelne davon hat. Wir brauchen dafür positive Narrative. Diese fehlen derzeit leider. Dabei ist schon lange erforscht, dass Menschen sich von positiven Bildern weit mehr motivieren lassen als von negativen.

Ich bin überzeugt: Wenn wir Best-Practice-Beispiele entwickeln und aufzeigen, wie die Welt von morgen aussehen kann, wenn die Erderwärmung auf ein erträgliches Maß begrenzt wird, sind die Menschen bereit, ihren Anteil zu leisten und mitzumachen. Daher brauchen wir einfache Angebote vor Ort: in den Schulen, in den Unternehmen und Betrieben, in Sport- und Kulturvereinen, auf öffentlichen Plätzen. Eben dort, wo die Menschen sind. Unternehmen sind hierbei Vermittler, sie können sehr wichtige Impulsgeber sein und ein befruchtendes Gemeinschaftsgefühl unter den Beschäftigten erzeugen.

Als Klimaschutzstiftung wollen wir zeigen, wie klimafreundliches Verhalten belohnt werden und Spaß machen kann. Nur so wird die Eigeninitiative gefördert. Einen idealen Einstieg bieten CO2-Rechner und Apps. Mit CO2-Rechnern unserer Klimaschutzstiftung Baden-Württemberg können kleinere Unternehmen wie auch Privatpersonen ihren CO2-Fußabdruck erfassen. Sofern es nicht möglich ist, den eigenen Verbrauch zu reduzieren, bildet auch an diesem Punkt ein Kompensationsangebot die Brücke zu klimafreundlichem Handeln.