»High Mix Low Volume«-Produktionen wirtschaftlich automatisieren
Seit ein paar Jahren verfolgt das Fraunhofer IPA das Ziel einer »Automatisierung der Automatisierung«. Softwarelösungen und neue Konzepte sollen – unterstützt durch maschinelle Lernverfahren – helfen, Anwendungen im Produktionsumfeld schneller, flexibler und autonomer einrichten und umrüsten zu können.
Veröffentlicht am 20.1.2022
Lesezeit ca. 6 Minuten
Durch den Wechsel von Low Mix High Volume, also der Massenproduktion, zu High Mix Low Volume, einer zunehmend personalisierten Produktion, werden bislang automatisierbare Fertigungsprozesse »unfit« und unrentabel zu automatisieren. Ein Roboter, der fünf Varianten einer Baugruppe greifen soll, ist noch in vernünftigem Rahmen manuell zu programmieren. Geht es aber um dutzende bis hunderte Teile, ist die manuelle Programmierung nicht mehr wirtschaftlich zu leisten. Die individualisierten Produkte müssten also manuell gefertigt werden, was sie wiederum zu kostspielig macht. Damit diese Prozesse wieder profitabel mit Standardlösungen automatisierbar werden, braucht es die »Automatisierung der Automatisierung«. Sie ermöglicht, vor allem Programmier- und Rekonfigurationsaufwände für Bauteilvarianten zu automatisieren, was den Robotereinsatz wieder wirtschaftlich macht.
»Wir möchten Automatisierung für möglichst viele Unternehmen interessant und spannend machen, und das insbesondere bei steigenden Anforderungen an die Flexibilität einer Produktion«, erklärt Professor Thomas Bauernhansl, Leiter des Fraunhofer IPA. »Unsere Vision ist, dass eine Automatisierung tatsächlich automatisiert geplant und aufgebaut wird. Auch Reproduktion und Umbau erfolgt entsprechend des Produktionsprogramms automatisiert. Die Produktion stellt sich selbst auf neue Produkte oder neue Rahmenbedingungen ein und baut sich selber um«, so Bauernhansl weiter.
Digitaler Zwilling als Basis
Diese visionäre Idee ist vom heutigen Produktionsalltag zwar noch ziemlich weit entfernt. Am Fraunhofer IPA entstehen aber bereits Tools und Konzepte für den direkten Einsatz, die auf die Vision hinarbeiten. Zunächst muss aber die Grundlage dafür geschaffen werden, nämlich die Produktion in einer Software abgebildet sein. Man braucht Digitale Zwillinge der eingesetzten Ressourcen, vom Produkt und vom Prozess. Dann kann man in einer virtuellen Welt die Automatisierung automatisiert planen, testen, optimieren – um sie anschließend in die Realität zu überführen.
Ein Beispiel für eine solche digitale Grundlage ist das am Fraunhofer IPA zusammen mit zahlreichen Partnern entstehende Fabrikbetriebssystem FabOS, das einerseits verteilt und offen, anderseits echtzeitfähig und sicher ist. »Das Konzept dahinter ist, dass man Funktionen von Systemen virtualisiert und damit softwarebasiert abbildet«, erklärt Bauernhansl. »Wir nutzen diesen Ansatz aus der Informations- und Kommunikationstechnik, um die beteiligten Produktionsmittel und die technische Gebäudeausstattung digital abzubilden – in Form eines Digitalen Zwillings, der mithilfe des Betriebssystems in Echtzeit an die reale Situation angepasst wird.« Diese Virtualisierung von Ressourcen ermöglicht einen weiteren Kernaspekt von FabOS: den Aufbau eines durchgängigen Datenmanagements in der Produktion, also die Sicherstellung von Verfügbarkeit, Qualität und Sicherheit der Daten unter Einhaltung des Datenschutzes. Ein einheitlicher Datenstandard ist nur durch solch ein ganzheitliches Betriebssystem möglich.
Unterschiedliche Softwareservices und datengetriebene Technologien können dann auf diese Daten zugreifen. Damit ist die Hardware von der Software in der Fabrik getrennt. Am Ende läuft die Software unterschiedlicher Hersteller auf der Hardware unterschiedlicher Hersteller. Das bringt die Flexibilität, die man braucht, um Automatisierungstechnik automatisiert aufzubauen, zu rekonfigurieren und zu optimieren.
Digitale Helfer
Auch abseits von FabOS tut sich am Fraunhofer IPA einiges. Dazu gehört beispielsweise die automatische Generierung von Fertigungszellen für die Montage; die Auswahl der entsprechenden Ressourcen und die automatische Anordnung des Layouts. Denn Montagesysteme an sich ändernde Bedingungen anzupassen, ist bisher meist eine manuelle, zeitaufwendige Konstruktionsaufgabe. Beispielsweise müssen komplexe Wechselwirkungen zwischen den Ressourcen identifiziert werden. Künftig können physikalische Modellierungstechniken den Fertigungsingenieur dabei unterstützen. Das Modell beschreibt die Beziehungen zwischen verschiedenen Ressourcen mit physikalischen Prinzipien. Ressourcen mit größerem Einfluss auf das Layout erhalten dann zunächst ihren optimalen Standort und beeinflussen so die Standorte anderer Ressourcen. Momentan wird noch ein Planer eingebunden, der eingreifen kann. Aber ein Großteil der Alternativen und die Bewertung der Alternativen erfolgen dann automatisiert auf Basis einer Produkt-Prozess-Ressourcen-Matrix. Wie bei fast allem, was im Kontext einer Automatisierung der Automatisierung am Fraunhofer IPA entsteht, spielt auch hier KI eine Rolle. Diese Lösungen werden industriefinanziert entwickelt und sind auch für die Industrie bestimmt.
Podcast: Wie die Automatisierung die Produktion der Zukunft verändert
Wie Automatisierung die Zukunft der Produktion verändern wird – dieses Thema steht im Mittelpunkt des Podcasts »Interaktiv«. Werner Kraus, Leiter der Abteilung Roboter- und Assistenzsysteme am Fraunhofer IPA, beleuchtet dabei vier Trends: den Einsatz von KI und Digitalisierung, die Demokratisierung der Robotik, die Automatisierung der Automatisierung und den Einsatz von Mensch-Roboter-Kollaboration. Und er zeigt anhand von Beispielen, was bereits heute alles möglich ist.
Hinzu kommen Tools wie beispielsweise die APA-App. Mit ihr können Unternehmen eine bisher von Experten des Fraunhofer IPA durchgeführte Automatisierungs-Potenzialanalyse (APA) nun selbst durchführen. Die App ist über eine Lizenz verfügbar und informiert Unternehmen nach dem Beantworten einiger Fragen zur Ist-Situation in der Produktion über Automatisierungsmöglichkeiten.
Ist eine Automatisierung einmal beschlossen, unterstützen Technologie des Fraunhofer IPA dabei, aus den CAD-Daten eines Bauteils automatisch eine Montagesequenz generieren zu lassen. Diese kann entweder ein Roboter abarbeiten oder aber ein Werker. Letzterer erhält nicht nur eine automatisch erstellte Montageanleitung, sondern die Anleitung unterstützt den Werker mithilfe von Augmented Reality beim Montieren.
Die Umsetzung einer Anwendung mit Mensch-Roboter-Kooperation unterstützt das »Computer-Aided Risk Assessment« (CARA) mithilfe einer teilautomatisierten Risikobewertung. Es prüft die einzelnen Prozessschritte verbunden mit den eingesetzten Ressourcen, die bereits in einer zentralen Datenbank hinterlegt sind und die ein Systemintegrator auswählen kann. Darauf basierend, gibt das Tool mögliche Gefährdungen sowie geeignete Sicherheitsmaßnahmen aus.
Automatisierte Roboterprogrammierung
Und schließlich ist auch die Roboterprogrammierung prädestiniert für eine Automatisierung der Automatisierung. So arbeiten Wissenschaftler beispielsweise im Projekt »rob-aKademI« daran, dass der Roboter das Montieren »lernt« und das Programm zunehmend autonom entsteht. Als Grundlage hierfür wird das sogenannte »Reinforcement Learning« (RL) verwendet. Es nutzt einen Algorithmus, der ähnlich dem Menschen nach dem Prinzip Versuch und Irrtum lernt. Die Roboter erkunden somit ihre Umgebung autonom, planen ihr Verhalten und optimieren es dadurch selbstständig und fortlaufend. Durch die Kombination von RL mit Methoden des »Deep Learning« erlernt der Roboter selbst die Ausführung komplexester Prozesse und auch die Abstraktion auf unvorhergesehene Aufgaben wird dadurch ermöglicht.
Beim Thema Griff-in-die-Kiste entwickeln Experten vom Fraunhofer IPA Softwarelösungen, mit denen das Robotersystem automatisch Greifpunkte für Klemm- und Sauggreifer erstellen kann und mit denen es automatisch Parameter für die Objektlokalisierung lernt. Der Einsatz Neuronaler Netze, die in Simulationen trainiert anstelle von Experten parametriert werden, dient ebenfalls der Objektlokalisierung.
Das Fraunhofer IPA bietet den ganzen Strauß an Software, Methoden und Entwicklungskompetenz, um solche automatisierten Prozessketten zu etablieren. Die Forscherinnen und Forscher setzen sie ein, um zugeschnittene Lösungen für Unternehmen zu entwickeln und zu implementieren. Sie können diese Lösungen aber auch in die entsprechenden Strukturen der Unternehmen integrieren und damit die Automatisierung der Automatisierung in den Unternehmen selbst vorantreiben.
Bauernhansl bilanziert: »Der Mehrwert liegt auf der Hand: Die Unternehmen sind nicht mehr abhängig von den Fähigkeiten einzelner Mitarbeiter, sondern können auf den Fähigkeiten und Erfahrungen vieler aufsetzen und kommen damit zu besseren, passgenaueren Lösungen. Vielleicht auch zu besseren Entscheidungen, wann Automatisierung sinnvoll ist und wann nicht. Über softwarebasiertes Engineering kann man in jedem Fall zu einer schnelleren und besseren Lösung im Betrieb kommen.«
Ihr Ansprechpartner
Dr.-Ing. Werner Kraus
Leiter der Abteilung Roboter- und Assistenzsysteme
Telefon: +49 711 970-1049