»Die Produktion mit der Stromerzeugung synchronisieren«

Alexander Sauer im Gespräch mit Birgit Spaeth und Jörg-Dieter Walz

Quelle: Fraunhofer IPA/Foto: Rainer Bez

»Die Produktion mit der Stromerzeugung synchronisieren«

Alexander Sauer leitet das Fraunhofer IPA und das Institut für Energieeffizienz in der Produktion (EEP) der Universität Stuttgart. »interaktiv« sprach mit ihm über seinen Verantwortungsbereich »Ressourceneffiziente Produktion« und über das Thema Energieflexibilität, das im Kopernikus-Projekt »SynErgie« vorantreiben wird.

Veröffentlicht am 26.05.2022

Lesezeit ca. 11 Minuten

Die Kopernikus-Projekte bilden eine der größten Forschungsinitiativen der Bundesregierung zum Thema Energiewende. Mit ihnen wollen Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft eine klimaneutrale Energieversorgung für Deutschland ermöglichen. Herr Professor Sauer, Sie leiten eines der Projekte. Welche Aufgaben haben Fraunhofer IPA und EEP?

Die Kopernikus-Projekte des Bundesministeriums für Bildung und Forschung werden mit insgesamt bis zu 400 Millionen Euro über zehn Jahre gefördert. Das SynErgie-Projekt ist eines von vier Projekten, das mit bis zu 100 Millionen Euro über die Projektlaufzeit gefördert wird. Das übergeordnete Ziel ist, Technologien zu identifizieren und zu entwickeln, die die Industrie befähigen, insbesondere den Stromverbrauch zeitlich flexibel zu gestalten und damit einen Beitrag zu leisten, um die volatile Erzeugung durch erneuerbare Energien besser nutzen zu können. Sprich, dann Strom zu verbrauchen, wenn die Sonne scheint und sich das Windrad dreht.

Die Aufgabe von EEP und Fraunhofer IPA in dem Projekt ist die Gesamtkoordination, das heißt, wir koordinieren die über 80 Partner, die in dem Projekt aktiv sind, und entwickeln auch selber Technologien sowohl auf der Hardware-Seite, also Produktionstechnologien, die wir flexibilisieren, als auch den notwendigen IT-Backbone, um die Anlagen energieflexibel steuern zu können und die Flexibilität am Energiemarkt nutzbringend einsetzen zu können. Das heißt wir haben zwei Schwerpunkte: auf der einen Seite das ganze Thema IT-Systeme mit den entsprechenden Services, Prognosealgorithmen und Aggregationsalgorithmen und auf der anderen Seite unterschiedliche technologische Lösungen, um die Produktion mit der Stromerzeugung zu synchronisieren oder den Energieverbrauch des Prozesses vom Stromverbrauch am Netzanschlusspunkt zu entkoppeln.

Bedeutet eine solche Flexibilität, dass die Industrie bei Schlechtwetter die Produktion herunterfährt, bei gutem Wetter hochfährt?

Das ist eine Möglichkeit. Sie fährt die Produktion herunter, wenn aus Stromerzeugungssicht schlechtes Wetter ist. Im Rahmen des SynErgie-Projekts entwickeln wir Lösungen, dass einige Prozesse heruntergefahren werden, wenn der Strom knapp ist und wenn ein Überschuss vorhanden ist, hochgefahren werden. Das geht, wenn ich nachgeschaltet entsprechende Puffertechnologien habe, die den Kundenlieferprozess weiter bedienen können. Also: vorgelagerte Prozesse kann ich hoch- und herunterfahren in Abhängigkeit des volatilen Angebots der erneuerbaren Energien, aber am Ende des Tages ist die Kundenbelieferung trotzdem sichergestellt.

Die andere Variante ist eben genau nicht die Produktion mit dem Wetter hoch- und herunterzufahren, sondern den Energieträger mit dem Wetter zu wechseln. Sprich, wenn der Strom knapp wird, fahre ich die Produktion bei durchlaufzeitkritischen Prozessen mit einem anderen Energieträger weiter.

Mit welchen Technologien wollen Sie hier Energieflexibilität erreichen?

Eine schöne Beispieltechnologie ist der sogenannte bivalente Schmelzofen. Das heißt, dass ein Schmelzofen oder eine Anlage, die auf Basis von Strom funktioniert, auch auf Basis eines alternativen Energieträgers läuft. Wenn jetzt der alternative Energieträger günstiger ist oder Strom aus irgendeinem Grund nicht verfügbar ist, dann wechselt die Anlage automatisch auf den zweiten Energieträger und stellt damit die Produktion sicher. Das kann man einmal als Risikominimierungsmaßnahme sehen, das heißt, die Anlage ist betriebsfähig, auch wenn ein Energieträger nicht zur Verfügung steht. Zweitens fungiert die Anlage automatisch hinsichtlich der Energiekosten immer minimierend, sprich, sie wählt sich dynamisch immer den Energieträger aus, der gerade am günstigsten ist. Damit leisten diese Anlagen sowohl kurz- als auch langfristig einen wesentlichen Beitrag zur Energiewende.

Alexander Sauer im Interview
Fraunhofer IPA/Foto: Rainer Bez

Gibt es noch weitere Möglichkeiten, den Stromverbrauch in der Produktion zeitlich flexibel zu gestalten?

Wenn ein Unternehmen in Echtzeit ohne viel IT-Aufwand Produktionsprozesse energetisch austarieren möchte, dann bietet sich dafür die DC-Technologie an. Mit Gleichstrom erreiche ich einen energieflexiblen Betrieb, der hocheffizient ist, weil er Bremsenergie aus Prozessen direkt rekuperiert und ohne Wandlungsverluste und andere Verbraucher einspeisen kann. Denn über eine Gleichstromverbindung von vielen Anlagen habe ich in einem offenen DC-Netz die Möglichkeit, durch dezentrale Regelung in Echtzeit Anlagen hoch und herunterfahren zu können und damit die Effizienz zu steigern und gleichzeitig einen einfachen energieflexiblen Betrieb realisieren zu können.

Für eine effiziente Auslastung der Produktion stehen in der Industrie bisher eher konstante Prozesse und Betriebszustände. Wie reagiert die Industrie auf den Vorschlag eines energieflexiblen Betriebs?

Für die Industrie ist entscheidend, dass es keine direkte Auswirkung auf ihre Prozesse gibt. Insofern wird vielfach mit der Peripherie angefangen, also zum Beispiel, wenn ein Betrieb Kälteleistung braucht, hat er irgendwo Kälteerzeuger auf seinem Fabrikgelände. Der Kälteerzeuger ist nicht direkt an den Produktionsprozess und damit an die Merkmalserzeugung der Produkte gekoppelt, sondern davon abgekoppelt. Der Kältekompressor läuft, wenn der Strom günstig ist. Damit verbunden ist ein entsprechender Kältespeicher, mit dem der Produktionsprozess gekühlt wird. Ähnliches gilt zum Beispiel für Wärmeerzeuger in Wärmenetzen oder Lüftungsanlagen, die auch nicht permanent laufen müssen.

Die Netzbetreiber haben ein Interesse daran, dass Unternehmen eine möglichst konstante Last vom Netz abnehmen. Was müssen Netzbetreiber ändern?

Kernproblem sind die Netzentgelte und daran muss etwas geändert werden. Wenn Unternehmen eine möglichst konstante Last vom Netz abnehmen, ist das für die Netzbetreiber berechenbar. In der Vergangenheit konnten sie daran ihre Kraftwerke ausrichten. Inzwischen werden die Grundlastkraftwerke aber immer weniger. Wenn bisher ein Unternehmen konstant über einen langen Zeitraum im Jahr die gleiche Last abnimmt, kann es einen Großteil der Netzentgelte reduzieren. Sobald die Last nicht mehr so lange abgenommen oder auf einmal eine Spitze generiert wird, setzt das diese Regel außer Kraft. Das heißt Flexibilität wird bisher hinsichtlich der Netzentgelte benachteiligt. Und das muss sich ändern, dass die Netzentgelte eben nicht mehr auf einen starren Verbrauch optimiert werden, sondern eben hinsichtlich der aktuellen Netzsituation und der Energieangebotssituation.

Zahlt sich Energieflexibilität heute schon für Unternehmen aus?

Wenn sich ein Unternehmen mit der Flexibilität, die es im Betrieb hat, so optimieren kann, dass es einen konstanten Lastabruf aus dem Netz generiert, kann es seine Netzentgelte reduzieren. Voraussetzung ist, dass das Unternehmen seine Last im Betrieb gezielt steuern kann, und damit auch in der Lage ist, sie ziemlich konstant zu halten.

Eine zweite Möglichkeit besteht auch heute schon darin, dass ein Betrieb eine atypische Netznutzung generieren kann. Wenn ein Unternehmen seine abgenommene elektrische Leistung in einem gewissen Zeitfenster am Tag reduziert, erhält es im Gegenzug reduzierte Netzentgelte.

Das sind heute zwei Business Cases für normale Firmen. Größere Unternehmen können Flexibilität gewinnbringend umsetzen, indem sie im Intraday-Handel an den unterschiedlichen Energiemärkten Strom günstiger einkaufen. Wenn ein Unternehmen ausreichend große Lasten hat, kann es auch am regulierten Markt teilnehmen. Dann kann es auf Aufforderung der Verteilnetzbetreiber Anlagen abschalten und bekommt dafür eine Prämie. Ebenfalls vergütet wird es, wenn Firmen anbieten, ihre Last ab- oder zuschalten zu lassen.

Das sind heute schon Anwendungsfälle, die sich lohnen können. Aber der freie Handel lohnt sich für viele noch nicht, insbesondere, wenn dieser mit höheren Netzentgelten einhergeht.

Als kleines oder mittleres Unternehmen kann man dafür heute auf sogenannte Aggregatoren zurückgreifen. Aggregatoren sind Firmen, die mehrere Anlagen von Kunden in ihr System integrieren und über diese Anlagen Flexibilitäten im regulierten und nicht regulierten Markt anbieten. Der Aggregator schaut, wieviel Megawatt an schaltbarer Last er dem Netzbetreiber im Rahmen des regulierten Markts anbieten kann. Wenn der Netzbetreiber um Lastabwurf nachfragt, dann disaggregiert er die Last auf die einzelnen Anlagen, die bei ihm unter Vertrag stehen, und schaltet diese über seine Plattform ab. Das ist ein direktes Handeln im Energiemarkt – in diesem Fall im regulierten Markt.

Sie arbeiten an einem Instrument, mit dem der Energiebedarf der einzelnen Unternehmen effektiv mit dem volatilen Energieangebot synchronisiert werden kann?

Was wir im SynErgie-Projekt entwickeln, ist eine sogenannte Energiesynchronisationsplattform, die aus zwei Teilen besteht: Der erste Teil ist eine Unternehmensplattform. Diese kann die einzelnen Flexibilitäten eines Unternehmens monitoren und aggregieren. Sie hat das Ziel, dem Unternehmen zu sagen, wann es welche Flexibilität hat und anbieten kann. Das heißt, wie das Unternehmen diese Flexibilität am Markt nutzen könnte, um günstig Energie einzukaufen oder zu verkaufen, wenn es sie vorher schon eingekauft hat.

Alexander Sauer im Gespräch
Fraunhofer IPA/Foto: Rainer Bez

Der zweite Teil ist eine Marktplattform. Sie sorgt dafür, dass Unternehmen, die Flexibilität nachfragen, mit dem Angebot zusammenkommen. Aggregatoren können sich auf der Plattform registrieren und ihr Interesse melden, Flexibilitäten einzukaufen oder zu verkaufen. Die Marktplattform vermittelt dann die Unternehmensflexibilitäten an die Flexibilitätsvermarkter. Und die Vermarkter wiederum verkaufen dann die Flexibilität an der Energiebörse. Das bedeutet, die Energiesynchronisationsplattform ist keine Energiehandelsplattform, wo wirklich energetische Flexibilitäten gehandelt werden. Vielmehr vermittelt sie zwischen den Händlern an den Energiebörsen und den Unternehmen, die Flexibilität bereitstellen können. Die Energiesynchronisationsplattform bietet aber ein komplexeres Vermittlungsniveau als bisherige Plattformbetriebe, die typischerweise Einzelanlagen in Unternehmen schalten.

Was haben kleine und mittelständische Unternehmen von Energieflexibilität?

Momentan oft eher weniger, weil sie sehr häufig zu geringe Energiekosten haben und zu wenig Energie verbrauchen. Zukünftig aber sehr wohl! Denn künftig wird es bei der Flexibilität nicht nur auf die Größenordnung ankommen, sondern auch auf den Ort, wo die Flexibilität erbracht wird.

Nehmen wir einen Bilanzkreis irgendwo im Schwarzwald, in dem wenig erneuerbare Energie gewonnen wird. Jetzt kommt durch die Leitungen wenig Strom, weil dort, wo der Strom herkommt, wenig erzeugt wird. Dann kann es sinnvoll sein, den Verbrauch abzusenken. In diesem Fall profitieren natürlich diejenigen energieflexiblen Unternehmen in diesem Bilanzkreis, gleichgültig ob sie klein oder groß sind. Häufig sitzen in solchen Regionen kleinere Familienunternehmen.

Ein anderes Beispiel: Stellen wir uns eine Region vor, in der es eine hohe Leistung volatiler erneuerbarer Energie gibt. Dort ansässige Unternehmen haben einen großen Vorteil, wenn sie bei den großen Schwankungen erneuerbarer Energien ihren Energieverbrauch ebenfalls schnell hoch- oder runterfahren können und damit helfen, den lokalen Bilanzkreis zu stabilisieren. Das heißt, die Lokalisierung der Unternehmen spielt zukünftig auch eine Rolle.

Muss die Politik die Regularien anpassen?

Ja, das muss sie. Die Politik darf die Regulierung nicht mehr hinsichtlich eines konstanten Verbrauchs optimieren, sondern hinsichtlich eines netzdienlichen und angebotsdienlichen Verbrauchs. Das heißt die konkrete Auslastung der Netze muss in die Bepreisung der verbrauchten Kilowattstunde einfließen, ebenso wie das absolute Stromangebot durch die Erneuerbaren. Damit wirken hier zwei Mechanismen zusammen. Zum einen der Markt, der Angebot und Nachfrage miteinander in Einklang bringt. Zum anderen ist Strom aber keine abstrakte Größe wie Geld, sondern fließt durch Leitungen. Insofern haben wir noch den zweiten Aspekt des Netzzustands. Wenn viel Strom am einen Ende der Leitung produziert wird, heißt das nicht, dass der Verbrauch am anderen Ende der Leitung automatisch günstig wird, wenn das Netzkabel diesen Strom nicht transportieren kann. Sowohl die Energiemärkte als auch die Stromnetze müssen Berücksichtigung bei der künftigen Bepreisung von Strom bei den Endnutzern finden.

Herr Professor Sauer, wir bedanken uns für das Gespräch.

Ihr Ansprechpartner

Alexander Sauer

Wissenschaftlicher Direktor für Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft und Wertschöpfungssysteme
Telefon: +49 711 970-3600