Die Chancen der Kreislaufwirtschaft nutzen

Ein Mitarbeiter in einer Werkstatt baut den Antrieb eines E-Bikes auseinander

Quelle: Fraunhofer IPA/Foto: Rainer Bez

Die Chancen der Kreislaufwirtschaft nutzen

Schluss mit Raubbau, Wegwerfartikeln und Müllbergen: Kreislauffähige Produkte sind reparaturfähig und werden am Ende ihrer langen Nutzungsperiode zu neuwertiger Ware weiterverarbeitet oder recycelt. Wie diese Produkte beschaffen sind und wie die Kreislaufwirtschaft funktioniert, erklärt Chantal Rietdorf im Interview.

Veröffentlicht am 19.09.2024

Lesezeit ca. 6 Minuten

Frau Rietdorf, wie sieht der Kreislauf aus, den Produkte künftig durchlaufen sollen?

Rietdorf: Die kreislauffähige Wertschöpfung berücksichtigt den gesamten Produktlebenszyklus, beginnt also schon beim Produktdesign. Die »Ecodesign for Sustainable Products Regulation« der Europäischen Union, die am 18. Juli 2024 in Kraft getreten ist, macht klare Vorgaben, wie kreislauffähige Produkte gestaltet sein müssen. Sie müssen zum Beispiel langlebig und so konstruiert sein, dass sie repariert und wiederaufbereitet werden können. Die verwendeten Materialien müssen nachhaltig sein, also beispielsweise regional bezogen werden, selbst aus einem Rezyklat bestehen oder recyclingfähig sein. Ein durchdachtes Rücknahmesystem und Partnerschaften mit Recyclingunternehmen sind ebenfalls entscheidend, um eine effiziente Verwertung zu gewährleisten und die Materialien optimal wiederzuverwerten. Um recyclingfähig zu sein, müssen sich die Materialen gut voneinander trennen lassen, dürfen also nicht verklebt sein. Um das alles zu veranschaulichen, entwickeln wir derzeit zusammen mit einem externen Dienstleister ein Online-Spiel. Bis zum Tag der offenen Tür des Fraunhofer-Institutszentrums Stuttgart am 19. Oktober 2024 ist es fertig und Interessierte dürfen es gerne spielen.

Fraunhofer-Campus lädt zum Tag der offenen Tür

Anlässlich des dritten Stuttgarter Wissenschaftsfestivals lädt das Fraunhofer-Institutszentrum in Stuttgart-Vaihingen am 19. Oktober 2024 zum Tag der offenen Tür. Alle fünf ansässigen Institute haben dafür ein buntes Programm mit Exponaten, Info-Stationen, Mitmach-Aktionen, Führungen und Vorträgen vorbereitet. Los geht’s um 13 Uhr.

Chantal Rietdorf und ihre Kolleginnen und Kollegen vom Forschungsteam Sustainability Modeling and Analytics am Fraunhofer IPA stellen dort erstmals ihr Online-Spiel vor. Darin schlüpfen die Spielenden in die Rolle von Produktdesignern und entwickeln ein kreislauffähiges Fahrrad.

Weiter im Kreislauf: Nach dem Produktdesign kommt die Nutzung und schließlich die Verwertung oder Entsorgung. Was gibt es da bei kreislauffähigen Produkten zu berücksichtigen?

Rietdorf: Die Produkte sollten lange und intensiv genutzt werden. Produkte, die nur gelegentlich benötigt werden, sollten idealerweise mit anderen Menschen geteilt werden, um Ressourcen zu sparen. Zudem sollte jedes Produkt sorgfältig gepflegt und regelmäßig gewartet werden, um seine Lebensdauer zu verlängern. Am Ende der Nutzungsphase nimmt der Hersteller das Produkt zurück, überprüft es, demontiert es und bereitet es für eine Wiederverwendung auf, um es als neuwertiges Produkt wieder in den Kreislauf einzuführen. Falls eine Wiederaufbereitung nicht möglich ist, wird das Produkt recycelt. Wenn Recycling nicht machbar ist, erfolgt die thermische Verwertung.

Wie kann man gebrauchten Produkten ein neues Leben schenken?

Rietdorf: Es gibt neun Strategien in der Kreislaufwirtschaft, davon beziehen sich fünf auf die Lebensdauerverlängerung, die alle mit englischen Begriffen umschrieben werden:

  1. Repair: Ein defektes Produkt wird repariert, damit es seine ursprüngliche Verwendung wieder erfüllen kann.
  2. Reuse: Ein Produkt oder Teile davon werden für den Zweck wiederverwendet, für den sie ursprünglich konzipiert wurden. Dem geht oft eine Reparatur oder Reinigung voraus.
  3. Repurpose: Das bedeutet Umnutzung. Ein bestehendes Produkt oder Teile davon erhalten eine neue Funktion und werden fortan anderweitig verwendet.
  4. Remanufacture: Ein Produkt wird wiederaufgearbeitet und besitzt am Ende mindestens die Funktionalität und Leistungsfähigkeit, die es ursprünglich auch schon hatte.
  5. Refurbish: Dies bezieht sich auf die Wiederherstellung eines Produkts, um es für den weiteren Gebrauch zu modernisieren oder aufzuwerten.

Kann man Produkte kreislauffähig machen, die dafür gar nicht ausgelegt sind?

Rietdorf: Das ist grundsätzlich schwierig. Je nachdem, um welches Produkt es sich handelt, gibt es aber doch ein paar Ansatzpunkte. Eine Möglichkeit ist die Anpassung oder Verbesserung bestimmter Komponenten, um die Langlebigkeit zu erhöhen. Ein weiteres Beispiel ist die Bereitstellung von Software-Updates, die das Produkt länger funktionstüchtig halten. Wenn direkte Anpassungen nicht machbar sind, kann man die Lebensdauer dennoch verlängern, indem man das Produkt intensiv nutzt, mit anderen teilt oder es durch regelmäßige Pflege in gutem Zustand erhält.

Bei der datenbasierten Produktentstehung werden Nutzungsdaten ausgewertet, um Produkte zu verbessern. Sind kreislauffähige Produkte also mit Sensoren ausgestattet oder mit dem Internet of Things verbunden?

Rietdorf: Nicht unbedingt. Das kommt ganz auf das Produkt an. Manchmal kann es sinnvoll sein, um die Instandhaltung, die Wiederaufarbeitung oder das Recycling zu verbessern. Beispielsweise können Elektroautos ihren Batteriezustand überwachen und frühzeitig melden, wenn ein Austausch nötig wird. Oder Windkraftanlagen können automatisch Störungen melden, damit fehlerhafte Komponenten schnell ersetzt werden. Der Einsatz von Sensoren und dem Internet of Things ist also eine nützliche Ergänzung, wenn er den Kreislaufprozess unterstützt, aber er ist nicht für jedes Produkt zwingend erforderlich.

Ändern sich Wertschöpfungsketten, wenn Produkte kreislauffähig werden?

Rietdorf: Ja, ganz sicher. Schon allein deshalb, weil kreislauffähige Produkte nicht zu dem linearen System passen, das wir bisher haben: von der Rohstoffgewinnung über die Herstellung und Nutzung bis hin zur Entsorgung. An dessen Stelle wird ein zirkuläres System treten, in dem Hersteller enger mit Akteuren entlang der Wertschöpfungskette zusammenarbeiten, zum Beispiel mit Reparaturdienstleistern und Recyclingunternehmen. Und die Transportwege werden kürzer. Denn wer recycelte Materialien einkauft, bezieht diese oft von regionalen Anbietern und ist nicht mehr so abhängig von weltweiten Lieferketten mit all ihren Unwägbarkeiten.

Portrait von Forscherin Chantal Rietdorf

Zur Person

Chantal Rietdorf ist seit September 2022 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsteam Sustainability Modeling and Analytics am Fraunhofer IPA. Sie forscht schwerpunktmäßig zur Lebenszyklusanalyse, Treibhausgasneutralität und Kreislaufwirtschaft. Studiert hat sie Wirtschaftsingenieurwesen an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Karlsruhe und Sustainable Resource Management an der Technischen Universität München.

Wenn Produkte langlebig, robust und reparaturfähig sind, sinkt der Umsatz der Hersteller. Wie lässt sich mit kreislauffähigen Produkten dennoch Geld verdienen?

Rietdorf: Indem man das Geschäftsmodell ändert und die Chancen nutzt, die die kreislauffähige Wertschöpfung bietet. Hersteller, die auf kreislauffähige Wertschöpfung setzen, werden zu Dienstleistern und verdienen durch Wartungs- und Reparaturdienste. Oder die Geräte bleiben in ihrem Besitz und sie rechnen pro Nutzung ab. Stichwort »Product Service Systems«. Einnahmen können auch durch Updates und Upgrades erzielt werden. Zudem ist eine Kooperation mit Recyclinganbietern möglich, bei der sortenreine Materialien geliefert werden und der Hersteller am Gewinn beteiligt wird.

Ihre Ansprechpartnerin

Chantal Rietdorf

Mitarbeiterin des Forschungsteams Sustainability Modeling and Analytics
Telefon: +49 711 970-1584