»Moderne bivalente Anlagen können auch mit Wasserstoff betrieben werden«

© Ludmilla Parsyak

»Moderne bivalente Anlagen können auch mit Wasserstoff betrieben werden«

Prof. Dr.-Ing. Alexander Sauer leitet das Fraunhofer IPA und verantwortet den Bereich »Ressourceneffiziente Produktion«. Hier geht es entscheidend darum, die Produktion hinsichtlich ihrer Umweltwirkung und insbesondere hinsichtlich ihres Zusammenspiels mit dem zukünftigen Energiesystem zu verbessern. Interaktiv sprach mit ihm über den bivalenten Schmelzofen, eine Beispieltechnologie, mit der Energieflexibilität erreicht werden kann.

Veröffentlicht am 24.8.2023

Lesezeit ca. 10 Minuten

Wie trägt die bivalente Anwendung zum Erfolg der Energiewende bei?

Alexander Sauer:
Der Vorteil des Energieträgerwechsels beim bivalenten Schmelzofen liegt in seiner Fähigkeit, je nach Verfügbarkeit und Preis, dynamisch zwischen verschiedenen Energieträgern, wie zum Beispiel Gas und Strom, zu wechseln. Dies bietet sowohl ökonomische als auch ökologische Vorteile.

Der Beitrag zur Stabilisierung des Stromnetzes ist ein bedeutender Aspekt dieser Technologie. Da erneuerbare Energien wie Wind- und Solarenergie naturgemäß schwanken, kann aufgrund von Netzengpässen eine Abregelung dieser regenerativen Stromerzeuger notwendig werden. In diesem Fall würde der bivalente Schmelzofen mit Strom betrieben. Der Strom ist dann CO2-neutral und preisgünstig. Durch diesen zusätzlichen Verbrauch wird gleichzeitig das übergeordnete Stromnetz entlastet.

In Zeiten mit geringer Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen oder Überlastung des Stromnetzes kann der bivalente Schmelzofen umschalten, ohne den Produktionsprozess zu unterbrechen. So können aus Sicht des Unternehmens die Energiekosten minimiert und gleichzeitig das Stromnetz insgesamt stabilisiert und die Nutzung von erneuerbarem Strom maximiert werden.

Bezogen auf die Branche Metallerzeugung und -bearbeitung in Deutschland kann der Stromverbrauch perspektivisch um 948 MW erhöht bzw. um 547 MW reduziert werden, insbesondere durch den Einsatz der hier beschriebenen Bivalenztechnologien. Das entspricht einem jährlichen CO2-Vermeidungspotenzial von ca. 13 000 Kilotonnen.

Welche Voraussetzungen müssen für den Einsatz von Bivalenztechnologien in der Produktion erfüllt sein und wie erfolgt der Wechsel zwischen den Energieträgern?

Alexander Sauer:
Um Bivalenztechnologien in der Produktion einzusetzen, sind bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen. Zunächst muss die Produktionsstätte Zugang zu den verschiedenen Energieträgern haben, die für den bivalenten Betrieb erforderlich sind, wie zum Beispiel Gas, Strom aus erneuerbaren Quellen oder perspektivisch auch Wasserstoff. Darüber hinaus müssen die vorhandenen Anlagen für den Einsatz von Bivalenztechnologien ausgelegt oder angepasst werden. Bleiben wir bei unserem bivalenten Schmelzofen der Firma Hindenlang. Der Schmelzofen selbst sollte für den Betrieb mit verschiedenen Energieträgern konfiguriert sein. Es können auch zusätzliche Komponenten wie elektrische Widerstandsheizelemente oder Brenner installiert werden. Für den energieflexiblen und -effizienten Einsatz ist zudem ein geeignetes Steuerungs- und Regelungssystem erforderlich, das in der Lage ist, die verschiedenen Verfügbarkeiten der Energieträger zu überwachen und je nach Bedarf zwischen ihnen umzuschalten.

Der Wechsel zwischen den Energieträgern in Bivalenztechnologien erfolgt abhängig von der spezifischen Technologie und den Anforderungen des Unternehmens. In einigen Fällen kann der Wechsel manuell durch das Bedienpersonal erfolgen, indem die Mitarbeiter die Verfügbarkeit und den Bedarf der verschiedenen Energieträger überwachen und entsprechende Anpassungen an den Anlagen vornehmen. Moderne Bivalenz-
technologien verfügen oft über Steuerungs- und Regelungssysteme, die den Wechsel zwischen den Energieträgern auto-
matisch vornehmen. Diese Systeme sind in der Lage, die Verfügbarkeit und den Bedarf der verschiedenen Energieträger kontinuierlich zu überwachen und bei Bedarf automatisch umzuschalten, was eine optimale Energieeffizienz und Flexibilität in der Produktion ermöglicht, ohne dass das Bedienpersonal ständig eingreifen muss.

Für welche Branchen, Maschinen und Anlagen eignet sich die bivalente Anwendung besonders gut?

Alexander Sauer:
Zum Einsatz kommen können bivalente Anwendungen vorzugsweise in Branchen und Anlagen, bei denen Prozesswärme eine zentrale Rolle spielt und eine flexible Energieversorgung notwendig ist. Zu diesen Branchen zählen unter anderem die chemische Industrie, die Metallverarbeitung, die Lebensmittelbranche oder die Papierindustrie.

In der Nichteisenmetall-Druckgussbranche haben Schmelzöfen, die ihren Energiebedarf dynamisch aus Gas und Strom beziehen können, großes Potenzial. Durch die optimale Kombination von Brennern und Heizelementen können sie sich an wechselnde Energiepreise anpassen und die Wirtschaftlichkeit des Produktionsprozesses verbessern. Das Beispiel von Hindenlang als Anlagenbauer und Bark als Anwender zeigt dies mit dem innovativen bivalenten Schmelztiegelofen.

In der chemischen Industrie spielt die flexible Bereitstellung von Prozessdampf eine entscheidende Rolle. Durch den Einsatz von Bivalenztechnologien können Anlagen ihre Energieversorgung anpassen, ohne den Produktionsprozess zu unterbrechen. Dies führt zu einer effizienteren Nutzung von Energie und reduziert die Abhängigkeit von einem einzigen Energieträger.

Die Metallverarbeitung erfordert große Mengen an Energie, insbesondere für die Umformung von Metallwerkstücken. Bivalenztechnologien bieten hier die Möglichkeit, Energie aus verschiedenen Quellen zu nutzen. Zum Beispiel kann ein Ofen sowohl mit elektrischer Energie als auch mit Wärme aus einem Blockheizkraftwerk beheizt werden. Dies ermöglicht eine flexible Anpassung an die jeweilige Energiesituation und verbessert die Energieeffizienz des Gesamtsystems.

In der Stahlindustrie können bivalente Strahlrohre für Feuerverzinkungsanlagen genutzt werden, die Wärme sowohl aus Brenngas als auch aus elektrischer Energie bereitstellen können. Diese Technologie ermöglicht es Unternehmen, auf sich ändernde Energiepreise flexibel zu reagieren und die Resilienz ihrer Energieversorgung zu erhöhen.

Auch in der Papierindustrie tragen bivalente Technologien zur Steigerung der Energieeffizienz bei. Durch den kombinierten Einsatz von Gas- und Elektrodendampfkesseln sowie Trocknungsanlagen, die sowohl mit Gas als auch mit Strom betrieben werden können, kann die Energieversorgung flexibel an die aktuellen Bedingungen angepasst werden.

Welche Energieträger werden für die Weiterentwicklung der Technologie genutzt und wie flexibel sind die Anlagen in Bezug auf den Einsatz verschiedener Energieträger?

Alexander Sauer:
Für die Weiterentwicklung von Bivalenztechnologien nutzen wir eine Vielzahl von Energieträgern, um die Anforderungen der verschiedenen Branchen und Anwendungen zu erfüllen. Dabei ist es ein zentrales Ziel, die Flexibilität der Anlagen hinsichtlich des Einsatzes unterschiedlicher Energieträger zu erhöhen. Dazu gehören beispielsweise Erdgas, Biogas, Wasserstoff oder auch elektrische Energie aus erneuerbaren Quellen.

Die Anpassungsfähigkeit der Anlagen spielt eine entscheidende Rolle, um den Wechsel zwischen verschiedenen Energieträgern zu ermöglichen. Moderne Anlagen sind bereits so konzipiert, dass sie auch mit Wasserstoff betrieben werden können (H2-Ready). Dabei wird stets darauf geachtet, dass die Umstellung möglichst einfach und kosteneffizient erfolgen kann.

Ob ein neuer Ofen bei der Umstellung auf Wasserstoff notwendig ist, hängt von der spezifischen Anwendung und den technischen Gegebenheiten ab. In einigen Fällen ist es möglich, bestehende Anlagen für die Nutzung von Wasserstoff umzurüsten, indem beispielsweise die Brenner ausgetauscht oder angepasst werden. In anderen Fällen kann es jedoch erforderlich sein, einen neuen Ofen zu kaufen, der speziell für den Betrieb mit Wasserstoff konzipiert ist. Dies hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie zum Beispiel dem Alter und der Bauart der vorhandenen Anlage sowie den technischen Anforderungen des jeweiligen Produktionsprozesses.

Insgesamt arbeiten wir kontinuierlich daran, die Bivalenztechnologien weiterzuentwickeln und ihre Flexibilität hinsichtlich des Einsatzes verschiedener Energieträger zu erhöhen. Dadurch können wir einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen und effizienten Energieversorgung in der Industrie leisten und den Übergang zu einer umweltfreundlicheren Energieinfrastruktur unterstützen.

Professor Sauer, vielen Dank für das Gespräch!

Das Team bei der Inbetriebnahme des Tiegelofens. Bildquelle: Ludmilla Parsyak

Ihr Ansprechpartner

Prof. Dr.-Ing. Alexander Sauer

Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA
Telefon: +49 711 970-3600