Quelle: Fraunhofer IPA/Foto: Rainer Bez
Sichere Impfstoffe – ohne Chemie
Ein Forschungsteam der drei Fraunhofer-Institute IPA, IZI und FEP hat die Impfstoffproduktion mal ganz anders gedacht. Das Ergebnis: eine effizientere, schnellere und umweltfreundliche Produktion von Vakzinen – und gestern Abend die Ehrung mit dem Joseph-von-Fraunhofer-Preis.
Impfstoffe sind derzeit ein großer Hoffnungsträger. Schließlich sollen sie dabei helfen, die Gesellschaft gegen COVID-19 zu wappnen und den Weg zurück in ein normales Leben zu ebnen. Zwar liegt der Fokus derzeit klar auf dem Corona-Virus – doch sind Impfstoffe gegen andere Krankheitserreger ebenfalls elementar.
Impfstoffe schneller und umweltfreundlicher produzieren
Die Wege, Impfstoffe zu produzieren, sind seit Jahrzehnten bekannt. Mit einem neuen Verfahren zur Herstellung inaktivierter Tot-Impfstoffe lassen sich Vakzinen künftig jedoch nicht nur schneller, sondern auch umweltfreundlicher, effizienter und kostengünstiger herstellen als bisher. Stellvertretend für ihre Teams wurden Martin Thoma vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, Sebastian Ulbert und Jasmin Fertey vom Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie IZI sowie Frank Holm Rögner vom Fraunhofer-Institut für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik FEP gestern Abend mit dem Joseph-von-Fraunhofer-Preis »Technik für den Menschen und seine Umwelt« 2021 ausgezeichnet. Die Jury betont insbesondere »die einfache und effiziente Methode, die für die Impfstoffwirkung wichtigen Strukturen weitgehend zu erhalten und auf sonst notwendige chemische Zusätze vollständig zu verzichten«.
Elektronenstrahlen statt Chemie: Viren in Millisekunden abtöten
Bislang basiert die Herstellung von Tot-Impfstoffen auf giftigen Chemikalien, vor allem Formaldehyd: Darin werden die Krankheitserreger gelagert – so lange, bis die Erbinformation der Viren gänzlich zerstört ist und sie sich nicht mehr vermehren können. Experten sprechen von der »Inaktivierung«. Dieses Vorgehen ist allerdings in mehrfacher Hinsicht problematisch: Zum einen zerstört die Chemikalie auch einen Teil der Außenstrukturen des Virus – die das Immunsystem jedoch benötigt, um die passende Antikörper bilden zu bilden. Außerdem: Bei der Impfstoffherstellung im industriellen Maßstab kommen große Mengen der toxischen Chemikalien zusammen – eine Herausforderung für die Arbeitssicherheit und eine Belastung für die Umwelt. Und: Je nach Virus kann es Wochen, mitunter sogar Monate dauern, bis die Viren tatsächlich »abgetötet« sind.
Mit ihrem neuartigen Ansatz räumt das Expertenteam mit all diesen Nachteilen auf. »Statt die Viren über toxische Chemikalien zu inaktivieren, beschießen wir sie mit Elektronen«, erläutert Ulbert. »Die Außenhülle der Viren bleibt dabei fast vollkommen intakt, wir haben keine Chemikalien, die entsorgt werden müssen, und der ganze Prozess dauert nur einige Sekunden.« Die Hürde, die zu meistern war: Elektronenstrahlen dringen nur wenige hundert Mikrometer tief in Flüssigkeiten ein, wobei sie zunehmend schwächer werden. Sollen in der Flüssigkeit umherschwimmende Viren durch die Strahlen zuverlässig abgetötet werden, darf der Flüssigkeitsfilm also nicht dicker als etwa 100 Mikrometer sein – zudem muss er gleichmäßig transportiert werden. »Dafür war eine anspruchsvolle Anlagentechnik vonnöten, aus diesem Grund haben wir das Fraunhofer IPA mit ins Boot geholt«, erzählt Rögner.
Bill & Melinda Gates Foundation investierte 1,84 Millionen Dollar
Die Rechnung ging auf: Martin Thoma entwickelte am Fraunhofer IPA gleich zwei Ansätze. »Das Beutelmodul eignet sich für aussagekräftige Vorversuche, das Rollenmodul dagegen punktet bei größeren Mengen«, beschreibt der Physiker. Fertey untersuchte unter anderem FSME-, Influenza- und Herpes-Viren sowie Bakterien wie Tuberkulose neben zahlreichen anderen Erregern, die via Beutel- und Rollenmodul mit Elektronen bestrahlt wurden. »Wir konnten alle Erregerklassen erfolgreich und sicher inaktivieren«, freut sich die Biologin.
Das Potenzial der Entwicklung erkannte auch die Bill & Melinda Gates Foundation – und investierte kurzerhand 1,84 Millionen US-Dollar in die Entwicklung eines Prototyps im Industriemaßstab. Dieser wurde 2018 fertiggestellt, am Fraunhofer IZI in Betrieb genommen und weiterentwickelt. Bereits im Folgejahr gewann das Forscherteam einen Lizenzpartner und sicherte vertraglich Lizenzerträge von knapp einer Million Euro. In etwa fünf bis sieben Jahren könnten die kühlschrankgroßen Herstellungsmodule in die pharmazeutische Produktion integriert werden und Impfstoffe produzieren – schnell, umweltfreundlich und effizient.
Ihr Ansprechpartner
Martin Thoma
Forschungsbereichsleiter Pharma- und
Bioproduktionstechnik
Telefon: +49 711 970-1336