Quelle: Universität Stuttgart IFF/Fraunhofer IPA, Foto: Rainer Bez
Lean in der Informationsversorgung
Um Verschwendung zu vermeiden, muss die richtige Information zur richtigen Zeit in der richtigen Form am richtigen Ort vorliegen. Ein Forschungsteam um Silke Hartleif vom Fraunhofer IPA hat nun eine Methode entwickelt, mit der sich eine derart schlanke Informationslogistik verwirklichen lässt.
Veröffentlicht am 06.10.2022
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Produktionsunternehmen sind mit einem zunehmend komplexer werdenden Umfeld konfrontiert, welches erhöhte Anforderungen an die Flexibilität und Wandlungsfähigkeit von Produktionssystemen stellt. Mit dem Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnik und der damit verbundenen Vernetzung technischer Systeme in Echtzeit soll diesen Herausforderungen begegnet werden. Dem Menschen als dem flexibelsten und intelligentesten Teil der Fabrik kommt hierbei eine entscheidende Rolle zu. Er soll gestärkt werden, indem eine durchgängige Verfügbarkeit aller notwendigen Informationen und somit eine vollständige Transparenz über das Produktionssystem geschaffen wird. Auf dieser Basis kann er seine kreative Problemlösungskompetenz zielgerichtet einsetzen.
Als Folge der fortschreitenden Digitalisierung in Produktionsunternehmen treten neue Herausforderungen in der Informationsversorgung von Mitarbeitern auf. Diese sind häufig darauf zurückzuführen, dass die Informationsbedarfe der Mitarbeiter steigen und sich entsprechend der auf eine variantenreiche Produktion ausgelegten Produktionssysteme stetig verändern. Auch die Menge der (digital) verfügbaren Informationen in den Unternehmen steigt und Informationssysteme werden zunehmend komplexer. Es kommt zu Verschwendung in der Informationsversorgung, die beispielsweise in Form von Wartezeit (warten auf Informationen) oder Bewegung (suchen nach Informationen) auftritt und einen negativen Einfluss auf die Wertschöpfung der Unternehmen hat.
Seminar zur schlanken Informationsversorgung
Im Seminar »Schlanke Informationsversorgung in der digitalen Produktion« am 24. November 2022 lernen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein methodisches Vorgehen kennen, mit dem sie schlanke Informationslogistiksysteme für die Informationsversorgung von Produktionsmitarbeitenden gestalten können.
Um Verschwendung zu vermeiden, muss die richtige Information zur richtigen Zeit in der richtigen Form am richtigen Ort vorliegen. Außerdem sollte auch die Logistik der Information als solche effizient sein. Um eine derartige schlanke Informationslogistik zu gewährleisten, wurde am Fraunhofer IPA eine Methode entwickelt, mit der ähnlich wie im Wertstromdesign schlanke Informationssysteme gestaltet werden können.
Verschwendung in der Informationslogistik
Welche Verschwendungsarten können nun in der Informationsversorgung auftreten? In der Informationsversorgung von Mitarbeitern auf dem Shop Floor können die Verschwendungsarten Bewegung, Wartezeit und Fehlleistung auftreten, die einen negativen Einfluss auf den betrieblichen Leistungserstellungsprozess haben. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn ein Mitarbeiter der Logistik nach Bauteilen sucht, da ihm Informationen über deren Lagerort fehlen. Ein solcher Fall tritt in Fabriken auf, in denen angebrochene Chargen direkt weiterverwendet werden müssen und die Vorkommissionierung somit auf dem Shop Floor stattfindet.
Aber auch in der Informationslogistik als solcher kann Verschwendung auftreten. Schnittstellen und Medienbrüche sind hierfür ein gutes Beispiel. In einigen Produktionen werden beispielsweise Barcodes gedruckt und auf Komponenten geklebt, sodass Folgeprozesse über das Einscannen der Barcodes Informationen über die Komponenten erhalten. Hier findet ein Medienbruch statt, der Verschwendung der Art Bewegung (drucken und kleben) darstellt. Das Drucken und Kleben eines Barcodes ist eine physische Bewegung, die vermieden werden kann, wenn der Code direkt auf eine bis zum Ende der Produktion sichtbare Komponente aufgebracht wird. Andere Verschwendungsarten in der Informationslogistik sind die Überproduktion von Informationen, beispielsweise eine zu detaillierte Erfassung, die unnötig aufwendige Bearbeitung von Informationen, messbar etwa übe die benötigte Rechenleistung, die Archivierung nicht weiter benötigter Informationen und der überflüssige Transport von Informationen.
Gestaltung schlanker Informationslogistiksysteme in einem interdisziplinären Team
Die eigentliche Systemgestaltung eines schlanken Informationslogistiksystems zur bedarfsgerechten Informationsversorgung eines Shop-Floor-Mitarbeiters erfolgt mit Hilfe einer Methode, bestehend aus fünf Schritten. Insgesamt acht Gestaltungsrichtlinien geben bei den einzelnen Methodenschritten eine Handlungsanleitung und Entscheidungshilfen. Bei der Entwicklung der Methode wurde Wert darauf gelegt, dass die Lösung die Zusammenarbeit von Betriebsingenieuren und Informatikingenieuren stärkt. Bei der Gestaltung der schlanken Informationssysteme arbeiten sie gemeinsam in einem interdisziplinären Team. Die Anwendung der Methode hat gezeigt, dass sie für beide Berufsgruppen verständlich ist und somit eine funktionierende Arbeitsnahtstelle bildet. Indem die späteren Systemnutzer ebenfalls in den Gestaltungsprozess eingebunden werden, steigt außerdem die Akzeptanz des Systems.
Methode zur Gestaltung schlanker Informationslogistiksysteme
In einem ersten Gestaltungsschritt werden Gestaltungsvorgaben für das zu gestaltende Informationssystem erhoben, die unter anderem aus der Unternehmensstrategie oder der Systemumgebung resultieren. Dies kann beispielsweise die Vorgabe sein, papierlos zu arbeiten. Auch gesetzliche Vorgaben zur Archivierung von Daten sind eine Gestaltungsvorgabe. Anschließend werden die Informationsbedarfe des Shop-Floor-Mitarbeiters erfasst. Dies kann beispielsweise über ein strukturiertes Interview erfolgen. Das zu gestaltende System sollte idealerweise alle Gestaltungsvorgaben erfüllen und den Informationsbedarf des Mitarbeiters decken.
Nach diesen Vorarbeiten startet die eigentliche Gestaltung des Systems mit der Gestaltung des bedarfsorientierten Informationsflusses. Für diesen Schritt werden als Gestaltungsbausteine informationslogistische Prozesse und Informationsflüsse benötigt, die in einem UML-Klassendiagramm modelliert und anhand von Attributen und Funktionen generisch beschrieben wurden. Durch die systematische Gestaltung informationslogistischer Prozesse, vom Informationsnutzer ausgehend gegen die Flussrichtung der Informationen, lässt sich automatisch ein bedarfsorientiertes System gestalten. In weiteren Schritten des Gestaltungsprozesses ist der Fluss der Informationen durch Archive zu entkoppeln und eine Informationsflusssteuerung zu gestalten, welche die Informationen zur richtigen Zeit dem Mitarbeiter bereitstellt. Abschließend wird der technische Lösungsraum für das gestaltete System festgelegt.
Nutzen und Anwendung der Methode
Durch die Realisierung schlanker Informationssysteme werden sowohl Mitarbeiterkapazitäten als auch technische Ressourcen wie beispielsweise Speicherkapazitäten eingespart. Die Informationsnutzer erhalten die richtige Information zur richtigen Zeit in der richtigen Form an den richtigen Ort und können ihrer wertschöpfenden Tätigkeit nachgehen. Mitarbeiter, die für die Informationsbereitstellung verantwortlich sind, haben einen geringeren Aufwand für die Organisation von Daten und Informationen. Die Methode kann für jeden Shop-Floor-Mitarbeiter angewendet werden. Die Gestaltung eines schlanken Informationslogistiksystems erfolgt in drei bis vier Tagesworkshops in einem interdisziplinären Team aus späteren Anwendern sowie Betriebs- und Informatikingenieuren. Das konzeptuelle Ergebnis kann anschließend in ein technisches Konzept überführt, implementiert und entsprechend ausgerollt werden.
Ihre Ansprechpartnerin
M.Sc. Silke Hartleif
Mitarbeiterin der Gruppe Fabrikplanung und Wertstromdesign
Telefon +49 1522 8833575