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Unermüdlicher digitaler Sachbearbeiter
Ist es nicht paradox? Mit jeder Software, die in der Verwaltung zusätzlich zum Einsatz kommt, wird die IT-Landschaft fragmentierter – und ausgerechnet die monotonen, ständig wiederkehrenden Aufgaben nehmen zu. Der Ausweg: Robotic Process Automation (RPA). Was RPA bringt und was man bei der Planung und Implementierung beachten sollte, erklärt Forscher Joachim Heidelbach.
Effiziente Prozesse steigern die Wettbewerbsfähigkeit. Mit dem Aufkommen von Softwarelösungen wie RPA gelangen nun zusehends auch Bürotätigkeiten in den Fokus der Prozessautomatisierung. Der klassische Arbeitsalltag dort besteht zu einem erheblichen Anteil aus repetitiven, monotonen und wenig fordernden Routinetätigkeiten. Dabei schleichen sich leicht Fehler ein, zumal die Aufgaben oft unter Zeitdruck erledigt werden müssen.
RPA könnte mit diesem Problem Schluss machen. Allerdings hat der große Implementierungsaufwand, der mit herkömmlicher Software einhergeht, dazu beigetragen, dass Bürotätigkeiten bislang allenfalls punktuell automatisiert wurden – und signifikantes Potenzial weitgehend ungenutzt blieb.
Trister Alltag im Büro: Insellösungen und repetitive Aufgaben
Zusätzlich gemindert wird die Lust auf Prozessautomatisierung im Büro dadurch, dass Unternehmen heute bereits eine Vielzahl verschiedener Systeme und Softwareprodukte nutzen. Denn diese Fülle an Insellösungen hat dazu geführt, dass viele Prozesse system- und medienübergreifend stattfinden. So müssen beispielsweise Informationen aus einer Excel-Datei, die als E-Mail-Anhang vorliegt, extrahiert und von Hand ins ERP-System eingepflegt werden. Die konsolidierten Daten aus dem ERP-System werden anschließend in eine neue Excel-Datei übertragen, um das Monatsreporting zu erstellen, das dann wiederum per E-Mail verschickt wird.
Durch die Einführung zusätzlicher Software-Lösungen und Tools nimmt die Fragmentierung und Komplexität der IT-Landschaft sogar noch weiter zu. Im Ergebnis erhöht sich damit die Anzahl der repetitiven und systemübergreifenden Prozesse in der Verwaltung kontinuierlich. Hier setzt RPA an, weil es genau diese Prozesse schnell und einfach automatisiert.
RPA senkt Prozesskosten um bis zu 80 Prozent
Die Software imitiert dabei die Arbeitsweise von Menschen: Ein Bot, also eine Art digitaler Sachbearbeiter, greift genau wie ein normaler User auf die Interfaces der bestehenden Applikationen zu und führt die Prozesse anhand präziser, regelbasierter Schritte anwendungsübergreifend aus. Zum Beispiel loggen sich RPA-Bots auf Applikationen ein, etwa dem ERP-System, rufen Dateien vom Server ab, kopieren oder verschieben sie. Zudem sind die Bots in der Lage, Dokumente zu erstellen, Formulare auszufüllen, Daten abzugleichen sowie E-Mails und deren Anhänge zu öffnen und selbstständig E-Mails zu versenden. Damit schließt RPA die Lücke zwischen kosten- und zeitaufwändigen Automatisierungslösungen auf der Systemebene und der manuellen Prozessbearbeitung.
RPA lässt sich beinahe in jede bestehende Software integrieren, wobei der Zugriff auf System-Schnittstellen (APIs) bei der Integration weitgehend vermieden wird. Folglich kommt die Konfiguration von RPA zumeist ohne aufwändige Programmierung aus. Stattdessen können die regelbasierten Prozessschritte direkt durch den Nutzer über das grafische User Interface angelegt und bei Bedarf angepasst werden. Ein weiterer wesentlicher Vorteil von RPA gegenüber herkömmlicher Prozessautomatisierung ist die geringe Implementierungsdauer. Während die Integration von Enterprise-Software in manchen Fällen Jahre dauert, lässt sich RPA bereits in wenigen Monaten umsetzen.
Neben der Reduktion des Aufwands für Routinetätigkeiten bietet RPA zahlreiche weitere Vorteile für Unternehmen: Durch RPA lassen sich Prozesskosten um durchschnittlich 30 Prozent senken, in Einzelfällen sogar um 80 Prozent. Zudem führt der Einsatz zu einer Verbesserung der Prozessqualität sowie der Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit.
Voraussetzungen für den Einsatz von RPA
Einen guten ersten Indikator für die Eignung von RPA bieten Flussdiagramme: Lassen sich alle Prozessschritte und möglichen Ereignisse darstellen, erfüllt der Prozess die Automatisierbarkeitsanforderungen mit hoher Wahrscheinlichkeit. Liegen dem Prozess strukturierte Daten zugrunde und lässt sich dieser mithilfe von festgelegten Wenn-Dann-Sonst-Regeln beschreiben, sollten weitere Faktoren analysiert werden. Je mehr dieser Faktoren erfüllt sind, desto höher sind die Effizienzgewinne und damit die Wirtschaftlichkeit der RPA-Lösung. Werden Prozesse anhand dieser Kriterien ausgewählt, haben RPA-Projekte einen sehr hohen Return on Invest (ROI) von 30 Prozent bis 200 Prozent, wodurch sie sich schnell amortisieren.
Prozessautomatisierung muss immer im Zusammenhang mit den End-to-End-Prozessen des Unternehmens gedacht werden. Die Automatisierung von Teilprozessschritten führt zwar zu schnell realisierbaren Einsparungen. Das große Automatisierungspotenzial bleibt damit allerdings ungenutzt. Um dies zu vermeiden, muss zuerst ein Überblick über die Ist-Prozesse des Unternehmens geschaffen werden. Diese sind anschließend anhand ihres finanziellen und strategischen Potenzials zu bewerten und zu priorisieren.
Für die Priorisierung und Bewertung ist es essentiell, dass das Unternehmen über ein ausreichendes Kundenverständnis verfügt. Das Unternehmen muss einschätzen können, welche internen und externen Kunden durch die Automatisierung betroffen sind, welche Anforderungen und Bedürfnisse diese haben und wie sie durch die Automatisierung erfüllt werden. Denn vor jeder Automatisierung gilt es, die selektierten Prozesse zu optimieren, also Prozessschritte zu streichen, zu parallelisieren, Geschäftsfälle zu standardisieren oder Verantwortlichkeiten neu zu verteilen.
Klein anfangen und Erfahrungen sammeln
Um das Umsetzungsrisiko zu minimieren und dem Unternehmen die Möglichkeit zu geben, sich mit der Technologie vertraut zu machen sowie interne Expertise aufzubauen, sollte zunächst ein Prozess ausgewählt und die Automatisierung exemplarisch an diesem umgesetzt werden. Dafür wird in einem ersten Schritt der relevante Anwendungsfall definiert. Im Rahmen eines Proof-of-Concept wird der Anwendungsfall konkretisiert, auf technische Machbarkeit überprüft und prototypisch umgesetzt. Die IT sollte dabei von Anfang an eingebunden werden, um die notwendige Infrastruktur bereitzustellen und die Einhaltung der Sicherheitsstandards zu gewährleisten. Bei der Entwicklung des Prototyps sollte darüber hinaus agil vorgegangen, frühzeitig das Feedback der Kunden eingeholt und in der weiteren Umsetzung berücksichtigt werden.
Sofern der Proof-of-Concept erfolgreich war, kann ein erster Piloteinsatz erfolgen. Wichtig sind hier insbesondere umfangreiche Tests sowie Schulungen der Mitarbeiter, damit diese die neue Technologie verstehen, mit ihr arbeiten können und dem Einsatz positiv gegenüberstehen. Nach dem erfolgreichen Pilotversuch kann der Rollout beginnen.
Prozessdurchlaufzeit um 80 Prozent kürzer
Dieses schrittweise Vorgehen hilft Unternehmen, die Anwendungsfälle mit dem höchsten Automatisierungspotenzial zu identifizieren und umzusetzen. In der Folge sinken die Betriebskosten in den Abteilungen, in denen RPA zum Einsatz kommt, signifikant, was die Wettbewerbsfähigkeit des gesamten Unternehmens steigert. Gleichzeitig erhöht sich die Mitarbeiterzufriedenheit, weil sie deutlich weniger monotone und repetitive Aufgaben erledigen müssen.
Durch die Automatisierung des Berichterstellungsprozesses bei einem Kosmetikhersteller haben es Forscher vom Fraunhofer IPA geschafft, die Prozessdurchlaufzeit dort um etwa 80 Prozent und in der Folge den manuellen Aufwand um 161 Arbeitstage zu senken.
Angesichts dieser Zahlen stellt sich für Unternehmen nicht die Frage, ob Automatisierung mittels RPA umgesetzt werden sollte, sondern vielmehr in welcher Abteilung damit begonnen werden sollte.
Ihr Ansprechpartner
M.Sc. Joachim Heidelbach
Mitarbeiter der Gruppe Organisations- und Prozessinnovation
Telefon: +49 711 970-1170