Quelle: Fraunhofer IPA
Automatisierung von morgen heute erfolgreich umsetzen
Von der Idee bis zur Anwendung: Automatisierungspotenziale richtig einschätzen, tragfähige Konzepte erstellen, technische Machbarkeit absichern und Konzepte in der Produktion implementieren.
Wie Unternehmen ihre Produktion optimieren und für künftige Herausforderungen resilient machen können, präsentierte das Fraunhofer IPA im Juni auf der diesjährigen Messe automatica. Die Exponate rund um Robotik, Automatisierung, Künstliche Intelligenz sowie Reinraumtechnologien versprachen einen klaren Wettbewerbsvorteil und richteten sich sowohl an Unternehmen, die diesen mit bestehenden Anwendungen erreichen wollen, als auch an solche, die ganz neue Anwendungen umzusetzen beabsichtigen. In vier Schritten fassen wir hier zusammen, wie Unternehmen befähigt werden, jeden Schritt erfolgreich zu gehen.
Schritt 1:
Machbarkeit von Automatisierungspotenzialen technisch und wirtschaftlich einschätzen
Viele Unternehmen möchten automatisieren, befürchten jedoch technische und wirtschaftliche Fehleinschätzungen. Für den ersten Schritt, die Automatisierungspotenziale des Unternehmens objektiv einzuschätzen, bietet das Fraunhofer IPA bereits seit Jahren die sogenannte Automatisierungs-Potenzialanalyse, kurz APA. Das Entwicklerteam der APA geht für dieses kompakte Projektformat direkt in die Unternehmen, analysiert den Status quo und ermittelt eine »Fitness for Automation« der untersuchten Produktionsprozesse. Die APA wurde bereits bei über 500 Kunden weltweit für Automatisierungsprojekte zur Montage eingesetzt. Jetzt ist sie auch für Schweißprozesse verfügbar. Unternehmen erhalten damit eine systematische Entscheidungsgrundlage, die das Investitionsrisiko signifikant verringert.
Bisher war die APA an das Fachwissen der Entwicklerinnen und Entwickler gekoppelt. Seit Kurzem steht sie auch als App beim Lizenzpartner Evia zur Verfügung. Unternehmen können damit selbst eine Anwendung analysieren, die sie möglicherweise automatisieren möchten. Neben den Anwendungen Montage und Schweißen erarbeitet das Team derzeit auch eine APA für das Maschinenbeladen sowie für die Logistik.
Nicht nur indoor – auch outdoor
Auch außerhalb von Produktionshallen ist oft mehr Automatisierung gewünscht. Deshalb ermöglicht eine andere Entwicklung eine robuste, autonome Outdoor-Navigation für die Herausforderungen typischer Outdoor-Umgebungen wie bspw. Outdoor-Intralogistik, Landwirtschaft oder Forst. Besonders schwierig für diese Navigation sind die jeweiligen Licht- und Witterungsbedingungen sowie der zu befahrende unterschiedliche Untergrund und natürlich Hindernisse. So können sich zwischen Werkhallen Kabelbrücken, Gulligitter, Schlaglöcher, Stufen, Absätze und vieles mehr befinden, die autonome Systeme vor Schwierigkeiten stellen. Der vom Fraunhofer IPA entwickelte prototypische Outdoor-Roboter CURT_mini zeigt aber, wie sich solche Schwierigkeiten durch aufeinander abgestimmte Hard- und Software lösen lassen und wie sich Intralogistik auch in Outdoor-Bereichen erfolgreich umsetzen lässt.
Verbunden ist diese Entwicklung mit einem umfangreichen Beratungsangebot rund um den sinnvollen Einsatz von autonomen mobilen Robotern in Innen- wie Außenbereichen. Das Fraunhofer IPA blickt mit seiner Navigationssoftware auf eine lange Erfolgsgeschichte zurück. Schon 2014 kamen in der Produktion eines Automobilherstellers erstmals frei fahrende fahrerlose Transportfahrzeuge zum Einsatz, die die IPA-Soft-ware nutzten – ein schönes Beispiel für den erfolgreichen Technologietransfer, der auch zu einer Ausgründung führte.
Auftragsabwicklung mit »DesignChain« digitalisieren
Vom Feld zurück in die Produktionshallen: DesignChain adressiert die aktuelle Anforderung, dass die Industrie zunehmend kundenindividuelle Produkte kostengünstig und in immer kürzerer Zeit produzieren muss. Um dabei im weltweiten Wettbewerb bestehen zu können, empfiehlt sich, die technische Auftragsabwicklung von der Bestellung bis zum fertigen Produkt durchgehend zu digitalisieren. Die Aufwände für die Fertigungsvorbereitung halbieren sich dadurch.
Schritt 2:
Tragfähige Konzepte erstellen
Erfolgreiche Technologietransfers brauchen eine wasserdichte Planung und Konzeption. Denn wenn in dieser Projektphase nicht sauber gearbeitet wird, rächt sich das meist durch unerwartete Kosten und Mehraufwände im späteren Projektverlauf. Eine auf funktionale Sicherheit (Safety) ausgerichtete Lösung sowie die geplante Ausgründung »IntRAC« zur Umsetzung von Montagezellen mit Robotern unterstützen diese Projektphase.
»Computer-Aided Risk Assessment« mit Robo-Dashcam
Sicherheitskonzepte können die Taktzeit einer Roboteranwendung ungünstig beeinflussen. Mit der »Robo-Dashcam« lässt
sich dies verbessern. Hierfür erfasst eine Kamera datenschutzkonform sicherheitsrelevante Daten und Personen, während die Roboterzelle in Betrieb ist. Basierend auf diesen Daten kann dann das Sicherheitskonzept auch nachträglich angepasst werden, um die Performance bzw. Taktzeit der Anwendung zu steigern. Dabei messen die IPA-Experten die optimierte Roboterleistung und können Sicherheitsabstände reduzieren. Bis zu 10 Prozent mehr Produktivität und eine um 54 Prozent reduzierte Zeit für die Risikobeurteilung sind möglich.
Die Robo-Dashcam ist Teil von CARA, dem »Computer-Aided Risk Assessment«, mit dem das Institut Unternehmen dabei unterstützt, Sicherheitskonzepte systematisch und teilautomatisiert zu erstellen und Performance-Verbesserungen zu ermöglichen.
Modulare Automatisierungslösung für die Kabel- und Steckermontage
Das geplante Spin-off »intRAC« (intelligent Robotic Assembly Cell) bietet insbesondere für die wirtschaftliche Kabel- und Steckermontage eine modulare Automatisierungslösung, auch für kleine Losgrößen. Das Angebot geht vor allem auf die Bedürfnisse von Unternehmen kleiner und mittelständischer Unternehmen ein, indem die modulare Roboterzelle flexibel und schnell an verschiedene Produkte angepasst werden kann. Dies ermöglicht den Unternehmen, mit nur einem System verschiedene Varianten zu fertigen und damit planbare Investitionsentscheidungen zu treffen. Damit richtet sich intRAC direkt an Betriebe, die meist kein Wissen über Roboter besitzen und die besonders stark vom Fachkräftemangel und hohen Lohnkosten betroffen sind.
Schritt 3:
Technische Machbarkeit experimentell oder simulativ absichern
Ist die zugrundeliegende Idee abgesichert und liegt ein Konzept zur Anwendungsrealisierung vor, geht es um das Prüfen der Machbarkeit. Eine Entwicklung für diesen Schritt ist »AI Picking«, der KI-basierte Griff-in-die-Kiste. Es adressiert genau die technischen Hürden, die eine umfassende Nutzung des Griff-in-die-Kiste trotz hohem wirtschaftlichem Potenzial noch immer hemmen. Der Einsatz von KI oder genauer, von deren Teilgebiet Maschinellem Lernen, macht die Anwendung autonomer, schneller und robuster.
Virtuelle Machbarkeitsuntersuchungen rund um das zuverlässige Greifen nahezu beliebiger Objekte ergänzen die Anwendung. Unternehmen können so schnell und ohne Investitionen in Material die Machbarkeit einer Griff-in-die-Kiste-Anwendung prüfen lassen. Sie erhalten Aussagen über das passende Zellenlayout, die Hardware, die Greifbarkeit vieler Werkstückgeometrien und weitere Informationen wie mögliche Taktzeiten, Verfügbarkeiten und Griffe pro Stunde. So liegt eine umfassende Analyse als Entscheidungsgrundlage vor.
Ablegen in die Kiste
Neben dem Greifen aus einer Kiste erreichen auch immer mehr Fragen rund um das Ablegen in eine Kiste das Team. Dieser Vorgang wird insbesondere durch den boomenden Onlinehandel immer wichtiger. Die Entwicklung »Bin Packing« führt vor, wie auch dies vollautomatisiert möglich wird. Ohne zuvor eingelernte Daten zu den Objekten kann das Robotersystem Freiformen platzsparend und ohne Packmuster oder Vorkommissionierung greifen und sauber in einen Karton ablegen. Bin Packing erreicht hiermit eine fünf Prozent höhere Verpackungsdichte und das bei deutlich reduzierten Vorbereitungsaufwänden. Auch für das Bin Packing sind Machbarkeitsstudien in Simulationen möglich.
Schritt 4:
Konzepte in der Produktion implementieren
Schließlich bietet das Fraunhofer IPA auch umfangreiche Möglichkeiten, um eine Anwendung final zu realisieren. So adressiert die Software »pitasc« eine häufige Hürde für die Montageautomatisierung, nämlich die Variantenvielfalt, die bisher mit hohen Programmieraufwänden einhergeht. Diese Aufwände machen den Einsatz von Robotik schnell unwirtschaftlich. Genau hier setzt pitasc an: Mit der Software muss eine Montageaufgabe nicht mehr Punkt für Punkt programmiert werden. Stattdessen erfolgt die Programmierung relativ zum Werkstück strukturiert und modular basierend auf Daten, die Sensoren am Roboter liefern. Vorgefertigte, wiederverwendbare Programmmodule helfen dabei, insbesondere knifflige, kraftgeregelte Montageanwendungen schneller als bisher umzusetzen, und ermöglichen eine effiziente Anpassung an neue Varianten. So können zum Beispiel die Position des Roboters, die Vorrichtungen und sogar der Endeffektor ohne Neuprogrammierung gewechselt werden.
Montageplanung und -durchführung mit KI-basierter Software
Einen anderen Ansatz für eine bessere Planung und Durchführung einer Montage verfolgt eine Ausgründung. Das Start-up entwickelt die KI-basierte Software »Assemblio«, deren Komponente Assembly Suite die CAD-STEP-Dateien analysiert und auswertet. Jedes CAD-System kann diese informationsreichen Dateien generieren. Sie liefern der »3D-Analyse-KI« alle notwendigen Informationen, um strukturierte Montageinformationen präzise abzuleiten. Eine zweite Komponente von Assemblio ist der »Assembly Composer«, der die extrahierten Montageinformationen einliest und in ein Tool für die Montageplanung einspeist. Das Tool zeigt montagerelevante Informationen vereinfacht grafisch an, sodass die Montage spielerisch und fehlerfrei planbar ist. Die KI-Montageassistenz »KIM« erstellt automatisch und kostengünstig Montageassistenzen zur interaktiven Unterstützung des Personals. Die Assistenz ist variabel und kann 2D- oder 3D-basiert sein. Erste Nutzerstudien zeigen eine Zeitersparnis von bis zu 92 Prozent, wenn Assemblio zum Einsatz kommt. Ab Juli ist die Software kommerziell verfügbar.
Unsere Jubiläumswoche für Sie!
Was 1973 begann und damals noch Handhabungstechnologie hieß, hat am Fraunhofer IPA seitdem eine beeindruckende Reise zurückgelegt. 50 Jahre Robotik in Stuttgart – das ist ein Strauß an Technologien für Automatisierung mit Robotik in unterschiedlichsten Branchen und Anwendungen.
Allen IPA-Entwicklungen gemein ist, dass sie den Robotereinsatz auch oder insbesondere abseits der am Markt verfügbaren Entwicklungen möglich gemacht haben. Wenn es noch keine zufriedenstellende Lösung gibt, wenn die technologische oder wirtschaftliche Herausforderung mit dem bestehenden Angebot zu groß erscheint, dann kommt das Fraunhofer IPA ins Spiel. Das zeigt der Blick zurück – und das zeigt insbesondere auch der Blick nach vorn. Bereits heute stellen wir die Weichen dafür, Roboter morgen in ganz neuen Anwendungen und Branchen einsetzen zu können. Denn wir sind der festen Überzeugung, dass Robotik eine Schlüsseltechnologie ist, um den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen sinnvoll begegnen zu können.
Dafür muss die Robotik aber einfacher einsetzbar werden. Die Aufwände für die Entwicklung und Inbetriebnahme einer Anwendung müssen deutlich gesenkt werden und es gilt, dass die Anwenderinnen und Anwender bestmöglich auch ohne Fachwissen Robotik gewinnbringend für sich nutzen können. Dies alles verfolgen wir mit unserer Vision einer »Automatisierung der Automatisierung«.
Ihr Ansprechpartner
Werner Kraus
Leiter des Forschungsbereichs Automatisierung und Robotik
Telefon: +49 711 970-1049