Quelle: Fraunhofer IPA/Foto: Rainer Bez
Ausgründungen – systematisch auf den Weg gebracht
In erster Linie ist das Fraunhofer IPA ein Forschungsinstitut. Doch: Es ist auch eine Geburtsstätte für Ausgründungen. Ein Start-up Support Team treibt diese systematisch voran.
»Wir fungieren quasi als Geburtshelfer«, sagt Christian Kurrle über sich und seine Kollegen Stephan Nebauer und Christoph Schaeffer. Doch arbeiten sie keineswegs im Krankenhaus, auch sind es keine Säuglinge, denen sie den Weg ins Leben bahnen. Vielmehr helfen sie bei der Geburt von Start-ups, die Technologien aus dem Fraunhofer IPA heraus auf den Markt bringen. »Aus der Keimzelle einer Idee entwickeln sich Technologien, auf deren Basis kleine Unternehmens-Embryos entstehen. Diese müssen gut gebettet und gepäppelt werden, bis sie irgendwann selbstständig stehen und laufen können und ihre eigene Rechtsform haben«, konkretisiert Nebauer. Eine äußerst wichtige Geburtshilfe für Deutschland – schließlich sind Ausgründungen eine entscheidende Säule von Innovationsstandorten. Die jungen Unternehmen sollen den Fortschritt vorantreiben und dabei helfen, drängende gesellschaftliche und ökologische Herausforderungen zu meistern. Laut Bitkom haben die Ausgründungszahlen in Deutschland jedoch nach wie vor Luft nach oben.
Ausgründungen systematisch vorantreiben
Das Fraunhofer IPA allerdings schlägt sich gut. »Seit 2015 haben wir durchschnittlich zwei Ausgründungen pro Jahr. Damit sind wir eines der Fraunhofer-Institute mit den höchsten Ausgründungszahlen«, sagt Schaeffer. Das kommt nicht von ungefähr. Schließlich treiben Kurrle, Schaeffer und Nebauer, unterstützt von der Institutsleitung und der Fraunhofer-Zentrale, Ausgründungen systematisch voran. Und zwar von Anfang an: Bereits bei der offiziellen Begrüßung erfahren neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur, wie sie am Fraunhofer IPA eine wissenschaftliche Fach- oder Führungskarriere vorantreiben, sondern auch, wie sie selbst das Unternehmertum lernen können und in Folge die Gründerkarriere am Institut beschreiten.
Auf dem weiteren Weg in Richtung GmbH steht das Start-up Support Team den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ebenfalls stets mit Rat und Tat zur Seite. »Wir orientieren uns dabei am Technologielebenszyklus«, erläutert Kurrle. »Wie mausert sich eine Erfindung zu einem Produkt, das auf dem Markt landet?« Zunächst einmal gilt es, spätere Gründer zu informieren und zu schulen – etwa über ein Programm, das marktwirtschaftliche Kompetenzen vermittelt und den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern konkretes Werkzeug an die Hand gibt, wie sich ihre Ideen unternehmerisch verwerten ließen.
Liebäugelt man damit, erste Schritte in eine neue Richtung zu machen, sind zudem Vorbilder extrem wichtig: Bei Gründerfrühstücken und Co. können sich Interessierte informell mit Menschen austauschen, die diesen Schritt aus dem Fraunhofer IPA heraus bereits gewagt haben und nun erfolgreich einem Spin-off vorstehen. Ergänzt wird das Angebot durch Roadshows, die gemeinsam mit der Fraunhofer-Zentrale organisiert werden – genauer gesagt mit den Kolleginnen und Kollegen von Fraunhofer Venture und den Mitarbeitenden des Transferförderprogramms AHEAD. Welche Fördermöglichkeiten gibt es innerhalb, welche außerhalb der Fraunhofer-Gesellschaft? Wer sind die jeweiligen Ansprechpartner? »Im Anschluss an die Roadshow im Juni 2023 flatterten sieben Bewerbungen für die nächste AHEAD-Runde auf unseren Schreibtisch«, freut sich Kurrle. Zentrale Fragen bei einer jeden Ausgründung drehen sich um das Patent- und Lizenzrecht. Wem gehört die Erfindung? Wer darf sie verwerten? »Als Ansprechpartner sind wir für die Teams jederzeit erreichbar, für kleine und große Fragen«, sagt Kurrle. Sowohl wenn es um formelle Ansprüche, Compliance, Regulatorik oder Schutzrechte geht als auch bei Fragen rund ums Inhaltliche.
»Die technischen Kernideen sind größtenteils toll. Vielfach mangelt es jedoch an Marktreife. Auch fehlt es häufig am Geschäftsmodell, der richtigen Markteintrittsstrategie oder dem Team«, fasst Nebauer zusammen. »Wir analysieren die Ideen, die an uns herangetragen werden, hinsichtlich der Machbarkeit, identifizieren die Marktreife, erstellen eine Roadmap und bauen die besonderen Stärken der Start-ups über Monate oder Jahre Schritt für Schritt aus.«
Vernetzung am Campus Stuttgart
Doch braucht es neben der internen Unterstützung auch passende Kontakte nach außen, um eine Firma auf die Beine zu stellen. Schließlich haben die Firmen-Embryonen in den unterschiedlichen Phasen verschiedene Bedarfe, die das Fraunhofer IPA nicht allein abdecken kann: Bürofläche und Laborräume, Investment, Fördermittel-Schulungen oder Hilfe beim Schreiben von Anträgen wie EXIST vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. »Hier greift unsere Vernetzung am Campus Stuttgart«, berichtet Kurrle. »Über das Netzwerk Startup Campus 0711 – in dem das Fraunhofer IPA ein zentraler, gleichberechtigter Player ist – bekommen Gründerinnen und Gründer die nötigen Kontakte, etwa zu Inkubatoren, die Fläche vermieten.« So hat Startup Campus 0711 beispielsweise eine Datenbank für Start-ups aufgebaut, über die sie Investoren suchen und sich untereinander vernetzen können.
Starthilfe durch die Fraunhofer-Gesellschaft
Elementar für das Gedeihen der Start-ups ist auch die Unterstützung der Fraunhofer-Zentrale. »Wir topfen die jungen Pflänzchen ein und gießen sie gut, während die Programme der Fraunhofer-Gesellschaft das weitere Wachstum fördern – wir arbeiten also Hand in Hand mit der Zentrale«, benennt Schaeffer einen der Erfolgsgaranten. Schließlich braucht es für das Gelingen eines Start-ups nicht nur innovative Ideen, die am Fraunhofer IPA erarbeitet wurden und mit einem Lizenzvertrag mit gründerverträglicher Kostenstruktur übergeben werden, sowie ein Team, das alle benötigten Skills samt betriebswirtschaftlicher Seite, Produktmarketing und Rechnungswesen abdeckt, sondern auch ein Geschäftsmodell, Mentoren und Investments.
In Phase eins, also der generellen Überlegung einer Ausgründung, ist vor allem das Fraunhofer-interne Transferförderprogramm AHEAD zu nennen. »In einem viertägigen Bootcamp können sich die Teams kennenlernen und ihr unternehmerisches, kundenzentriertes Handeln fördern«, berichtet Julia Bauer, die das Programm in der Fraunhofer-Zentrale betreut. »Eine Jury entscheidet am Ende des Camps, welche Teams in Förderungsphase eins aufgenommen werden: Diese erhalten je 50 000 Euro, um das Projekt weiter voranzubringen und etwa Personalkosten zu stemmen.« Haben die Teams Phase zwei und damit »Betriebstemperatur erreicht«, wie der Leiter von Fraunhofer Venture, Thomas Doppelberger, es formuliert – ist also klar, dass sie wirklich ausgründen wollen – greift die Unterstützung von Fraunhofer Venture.
»Wir nehmen die Gründerteams in allen betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Fragestellungen an die Hand, und ein Betreuertandem bestehend aus Betriebswirt und Jurist kooperiert eng mit Gründerteam und Institut«, sagt Doppelberger. »Mitunter beteiligt sich die Fraunhofer-Gesellschaft auch an den Start-ups und agiert als Co-Investor und Mitgesellschafter.«
Win-Win-Situation für Fraunhofer und Gründer
Doch ist es nicht kontraproduktiv für Fraunhofer-Institute, einige ihrer besten Köpfe an Start-ups zu verlieren? »Wir wollen unsere Mitarbeiter fördern und ihren Erfolg sehen«, sagt Schaeffer bestimmt. »Plant man eine Ausgründung richtig, ist sie niemals hinderlich für Fraunhofer.« Zu einer solch gewinnbringenden Planung gehört etwa die Frage, wie die zukünftige Kooperation des Start-ups mit Fraunhofer aussehen soll. Die Zusammenarbeit liefert beiden Seiten Benefits: Die Start-ups profitieren von der Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer IPA und der Schaffung von neuem Intellectual Property (IP), andererseits stammen 40 Prozent der Lizenzeinnahmen des Fraunhofer IPA von ehemaligen Start-ups.
Erfolgsgeschichten aus dem Fraunhofer IPA
Lizenzeinnahmen, zu denen beispielsweise auch die jüngste Ausgründung Assemblio GmbH beiträgt: Sie unterstützt Unternehmen dabei, aus CAD-Daten Montageanleitungen für die Werker zu generieren. Die zugrundeliegende Technologie hat Alexander Neb in seiner – hervorragend abgeschlossenen – Dissertation vollständig entwickelt. »Ein tolles Beispiel für eine Gründerkarriere: Alexander Neb hat bereits erste Preise abgeräumt. Auch die Kunden sind begeistert. So hat sein Start-up schon jetzt mehr Anfragen, als es bedienen kann«, sagt Schaeffer mit Stolz in der Stimme.
Deutlich länger gibt es bereits die Ausgründung Vibrosonic GmbH: Hier dreht sich seit mehr als zehn Jahren alles um eine Hörkontaktlinse® fürs Ohr. Die medizinischen Zulassungsverfahren sind abgeschlossen, Großinvestoren gefunden. Da die Hörkontaktlinse® non-invasiv direkt aufs Trommelfell aufgelegt wird, könnte sie die Hörgerätelandschaft ähnlich revolutionieren wie die Kontaktlinse das Sehen.
Einem gänzlich anderen Thema widmet sich die Fast Forward Discoveries GmbH: Hier geht es darum, den Mikrobereich von Zellen über eine Mühle so zu öffnen, dass man ihn für die Entwicklung von Medikamenten oder Impfstoffen nutzen kann. »Ein Seriengründer von außen hat dieses Start-up gemeinsam mit unseren Kollegen ausgegründet – dieses erfüllt seine Pläne hinsichtlich der verkauften Stückzahl optimal«, begeistert sich Schaeffer.
Andere Teams sind derzeit in der Produktfindungsphase, so die WSDi – Wertstrom Digital, die vom AHEAD-Programm gefördert wird. Lässt sich die Wertstromanalyse, die Abläufe in Fabriken optimiert, auch zum Beispiel für die Verbesserung von Verkehrsdaten in der Stadt nutzen? »Das Team steht kurz davor, einen passenden Anwendungsfall für die Ausgründung zu finden«, so die Einschätzung von Nebauer.
Gutes noch besser machen
Diese Beispiele mögen einen Eindruck von Ausgründungen vermitteln, die dem Fraunhofer IPA entspringen. »Das Fraunhofer IPA hat eine Vorreiterrolle, was Ausgründungen angeht«, bestätigt Doppelberger. Doch was gut ist, kann noch besser werden – so die ehrgeizige Devise. Im kommenden Jahr steht daher eine Reorganisation auf der Agenda: Die Stabstelle Gründungssupport am Fraunhofer IPA wird zu einem profitablen Gründungsinkubator ausgebaut, anders gesagt in einen eigenständigen Geschäftsbereich gewandelt, der sich wirtschaftlich selbst trägt. »Entsprechend ist geplant, das Team zu vergrößern und die bisherigen Leistungen für Gründungsinteressierte deutlich auszubauen, dazu gehören die Organisation von Matchmaking-Veranstaltungen mit Investoren und geeigneten Industriepartnern, Pitch-Trainings, Infrastruktur etc.«, verrät Nebauer. »Denn künftig wollen wir die Kolleginnen und Kollegen noch stärker abholen und proaktiv abfragen: Wer hat Interesse daran mit folgendem IP des IPA, auszugründen?«, sagt Kurrle. »Unser Vorsatz: Wir wollen in puncto Ausgründungen künftig noch viel proaktiver vorgehen.«
Ihre Ansprechpartner
Stephan Nebauer
Leiter Geschäftsbereich Start-up Inkubator
Telefon: +49 711 970-1291
Christoph Schaeffer
Leiter Geschäftssegment Patente und Lizenzen
Telefon +49 711 970-1212
Christian Kurrle
Mitarbeiter des Geschäftssegments Patente und Lizenzen
Telefon: +49 711 970-3646