Quelle: Fraunhofer IPA/Foto: Rainer Bez
Vorgestellt! Ein Tag mit… Sonja Ziehn
Wasserstoff aus Küchenabfällen: Sonja Ziehn geht am Fraunhofer IPA der Frage nach, wie wirtschaftlich und ökologisch sinnvoll die sogenannte Dunkel-Photosynthese ist, bei der Bakterien organische Reststoffe zu Wasserstoff zersetzen. »interaktiv« hat die Wissenschaftlerin einen Tag lang begleitet.
Was andere Menschen achtlos auf den Komposthaufen oder in die Biotonne werfen, hat für Sonja Ziehn noch einen Wert. Denn es gibt ein Bakterium mit der sperrigen Bezeichnung Rhodospirillum rubrum, das aus organischen Abfällen Wasserstoff herstellen kann. Dazu braucht es noch nicht einmal Licht – und in dieser sogenannten Dunkel-Photosynthese sieht Ziehn einen entscheidenden Vorteil. Denn die Bioreaktoren, in denen die Dunkel-Photosynthese abläuft, sind ohne Weiteres skalierbar, also im industriellen Maßstab einsetzbar. Lichtabhängige Biowasserstoffverfahren hingegen scheitern bislang an der großtechnischen Umsetzung. Ab einer gewissen Reaktorgröße ist eine ausreichende Durchleuchtung des Substrats nicht mehr möglich und die Wasserstoffausbeute sinkt.
Im Labor geht die Dunkel-Photosynthese in einem handelsüblichen Edelstahlbehälter vonstatten. Dabei entsteht neben Wasserstoff zwar auch Kohlenstoffdioxid (CO2). Aber das ist klimaneutral, weil es zuvor in Pflanzen gebunden war, die das Treibhausgas der Atmosphäre entzogen hatten. Klimapositiv wird die Dunkel-Photosynthese, wenn das frei gewordene CO2 nicht in die Atmosphäre entlassen, sondern unterirdisch eingelagert wird. Alternativ ließen sich aus dem CO2 auch Dünger oder Baustoffe produzieren.
Welchen ökologischen und ökonomischen Wert die Dunkel-Photosynthese genau hat, hat Ziehn in ihrer Masterarbeit zu beziffern versucht, die sie 2022 am Zentrum für Biointelligente Produktion des Fraunhofer IPA geschrieben hat. Weil aber bis heute noch nicht abschließend geklärt ist, unter welchen Voraussetzungen die Dunkel-Photosynthese im Bioreaktor am effizientesten abläuft, musste Ziehn viel mit Annahmen arbeiten und konnte keine belastbaren Zahlen vorlegen.
Wind- und Solarparks für Lateinamerika
Solche ökologischen und ökonomischen Bilanzierungen hat Ziehn schon durchgeführt, bevor sie ans Fraunhofer IPA wechselte. Zwölf Jahre lang war sie bei einem Projektentwickler in Sonnenbühl-Willmandingen auf der Schwäbischen Alb angestellt. In dieser Zeit war sie an der Planung von Wind- und Solarparks in Lateinamerika beteiligt und berechnete, wie viel CO2 sich mit diesen Bauprojekten auf lange Sicht einsparen lässt.
In Lateinamerika kennt sich Ziehn aus. An der Universität Passau hat sie den interdisziplinären Studiengang »Sprachen, Wirtschafts- und Kulturraumstudien« belegt und beschäftigte sich mit dem ibero-romanischen Raum. Sie lernte Spanisch, machte sich mit den geografischen, ökonomischen, kulturellen und soziologischen Gegebenheiten vertraut und verbrachte schließlich neun Monate im mexikanischen Bundesstaat Guerrero. Als Praktikantin half sie dem Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband dabei, Genossenschaftsbanken in dieser armen, ländlich geprägten Gegend aufzubauen.
In dieser Zeit schrieb sie außerdem eine Studie, in der sie die Frage klärte, ob die Genossenschaftsidee die Armut in Guerrero lindert. Die Antwort: Ja, das tut sie. Denn bevor es die Banken gab, versteckten die Leute ihr Geld irgendwo in ihren Lehmhäusern und mussten fürchten, dass es gestohlen oder von Ratten aufgefressen wurde. Wer mehr Geld brauchte als er angespart hatte, musste es sich zu horrenden Zinsen bei lokalen Reichen leihen und geriet so oft in Abhängigkeit. Doch seit es die Genossenschaftsbanken gibt, legen deren Mitglieder ihr Geld dort an und erhalten günstige Kredite. Es gibt nun mehr Geschäfte, der Handel ist in Schwung gekommen und mehr Kinder als zuvor besuchen eine Schule, weil sie sich nun Schuluniformen leisten können.
Den Klimawandel abmildern und damit Geld verdienen
Heute ist Ziehn selbst Mutter dreier Kinder. Als 2016 das erste zur Welt kam, plante sie nur noch in Teilzeit Wind- und Solarparks für Lateinamerika. Sie begann ein Zweitstudium und studierte Umweltwissenschaften an der Fern-Universität Hagen. Einerseits wollte sie damit ihre Arbeit als Projektentwicklerin auf ein natur- und ingenieurwissenschaftliches Fundament stellen. Andererseits verspürte sie immer stärker den Wunsch nach beruflicher Veränderung, wollte nicht mehr täglich zwischen ihrer Wohnung in Stuttgart und ihrer Stelle auf der Schwäbischen Alb pendeln und wertvolle Lebenszeit im Berufsverkehr verlieren.
Hinweis der Redaktion
In diesem Film, produziert von der Informationsplattform bioökonomie.de, ist Sonja Ziehn zwar nicht zu sehen. Er hilft aber, ihre Forschungsarbeit besser zu verstehen und einzuordnen.
Im April 2020 begann sie schließlich als studentische Hilfskraft am Zentrum für Biointelligente Produktion, schrieb ihre Masterarbeit und ist seit Februar 2022 fest angestellt. Derzeit sucht sie ein Thema für ihre Doktorarbeit. Vielleicht baut sie auf ihre Masterarbeit auf und legt doch noch belastbare Zahlen vor, die zeigen, wie ökonomisch und ökologisch sinnvoll die Produktion von Wasserstoff mittels Dunkel-Photosynthese ist. Die Voraussetzungen dafür sind diesmal günstiger, denn schon bald wird ein Forschungsteam vom Fraunhofer IPA einen Bioreaktor bei einem Fruchtsafthersteller aufstellen. Dann gibt es einen konkreten Herstellungsprozess, den sie beleuchten und quantifizieren kann.
Langfristig möchte es Ziehn aber nicht bei theoretischen Betrachtungen bewenden lassen. Ihr Traum ist es, dass ihre Forschungsarbeit eines Tages etwas hervorbringt, was sie in der Praxis umsetzen und vermarkten kann. So könnte sie mit ihrer Arbeit ganz konkret neue Wege zur Klimarettung beschreiten, zumindest sofern diese Wege durch eine Biotonne führen.
Ihre Ansprechpartnerin
Sonja Ziehn
Mitarbeiterin des Forschungsteams Sustainability Modeling and Analytics
Telefon: +49 711 970-1475