Jannik Rohde, Alexander Brandstetter, David Albert Breunig und Monika Risling bilden das Start-up retavi. (Quelle: Fraunhofer IPA/Foto: Rainer Bez)
Ein Software-Framework für alle Maschinen und Anlagen
Monika Risling und David Breunig vom Fraunhofer IPA gründen gerade zusammen mit ihren Kollegen Alexander Brandstetter und Jannik Rohde das Start-up retavi. Hier berichten sie, wie aus Forschern Unternehmer werden und stellen ihr Software-Framework vor. Unternehmen können damit hardwareunabhängig Maschinen und Anlagen automatisieren.
Frau Risling, Herr Breunig, womit wollen Sie sich selbständig machen?
David Breunig: Unser Unternehmen retavi gibt Maschinen- und Anlagenbauern sowie Systemintegratoren ein Software-Framework an die Hand, mit dem sie ihre Maschinen und Anlagen softwaredefiniert automatisieren können, um diese zu vernetzen, zu steuern und zu integrieren – unabhängig von speziellen Hardware- und Steuerungssystemen. Die Automatisierung kommt künftig nicht mehr aus dem Schaltschrank, sondern aus dem Serverraum.
Monika Risling: retavi ersetzt die speicherprogrammierbaren Steuerungen, kurz: SPS. Das sind spezialisierte Computer in den Schaltschränken, über die eine Maschine oder Anlage gesteuert wird. Die Technik, auf der diese SPS-Systeme aufbauen, ist im Prinzip seit Jahrzehnten unverändert. Um das zu veranschaulichen: Musik kam früher aus Schallplattenspielern, dann aus CD-Playern, später aus dem iPod und jetzt streamt man sie über Softwaredienste auf beliebigen Endgeräten, egal ob Laptop, Tablet oder Smartphone. In der Automatisierung gab es diese Entwicklung von spezialisierten Hardwaresystemen hin zu hardwareunabhängigen Softwaresystemen bislang nicht.

Breunig: In einer Fabrik gibt es nicht eine SPS, über die alles läuft, sondern Dutzende je Produktionsanlage. Das sind einzelne Systeme, die man kaufen, programmieren, verkabeln, mit Sensoren und Aktoren verbinden muss. Das ist ein riesiger Aufwand, zumal jedes Steuerungssystem mehrere Tausend Euro kostet.
Risling: Hinzu kommt: Es fehlen die Leute, die sich mit dieser historisch gewachsenen Hardware auskennen und die alten Programmiersprachen beherrschen. Der Fachkräftemangel trifft auch die Automatisierung. Es gehen immer mehr Mitarbeitende in Rente und neue Fachkräfte kommen kaum nach. Die Softwareentwicklung hingegen boomt. Die meisten Software-Fachkräfte sind mit klassischen höheren Programmiersprachen wie C# und Python bestens vertraut, jedoch nicht mit konventionellen SPS-Sprachen.
Was bieten Sie also an, was Ihr Start-up retavi von den Wettbewerbern unterscheidet?

Breunig: Wir ersetzen die Hardware durch ein reines Softwaresystem, das die gesamte Fabrik abdeckt. Nicht mehr 80 verschiedene SPS und genauso viele individuelle Entwicklungsprojekte, sondern ein einziges für die gesamte Anlage. Wer heute die SPS eines etablierten Herstellers kauft, macht sich abhängig von dessen Hardware, Entwicklungsumgebung und Programmiersprache. Man kann keine Open-Source-Software, Softwaretools anderer Anbieter oder KI-Sprachmodelle einbinden. Alles, was in der IT schon seit zehn, 15 oder gar 20 Jahren selbstverständlich ist, steht für die Industrieautomatisierung bis heute nicht zur Verfügung. Und genau das wollen wir mit unserem Software-Framework ändern.
Risling: Im Grunde reduzieren wir mit unserem Software-Framework die Komplexität. Damit machen wir die Automatisierung für unsere Kunden einfacher umsetzbar.
Wer ist außer Ihnen beiden noch an dem Start-up beteiligt und welche Kompetenzen bringen sie mit?
Breunig: Alexander Brandstetter und Jannik Rohde ergänzen unser Gründerteam. Alexander ist Wirtschaftsingenieur mit Fokus auf Produktionstechnik und Digitalisierung, während Jannik ein einheitliches IT-Profil insbesondere in den Bereichen IT-Security und Informationssysteme verkörpert. Beide sind bislang am Fraunhofer IPA als wissenschaftliche Mitarbeiter tätig. Alexander kommt aus dem Forschungsteam Unternehmensinformationssysteme und arbeitet dort an innovativen Softwarelösungen für Produktionsumgebungen – von Tracking-Systemen über digitale Zwillinge bis hin zu Werker-Assistenzsystemen. Jannik kommt aus dem Forschungsteam Interoperabilität für die Produktion und hat bisher an 5G-Campusnetzen für die Industrie und der IT-Sicherheit gearbeitet – als Projektleiter und in der Bearbeitung von Entwicklungsthemen. In unserem gemeinsamen Start-up retavi decken Alexander und Jannik die Entwicklung des Geschäftsmodells, die Entwicklung der Infrastruktur, des Front-Ends und der Engineering-Tools des Software-Frameworks ab. Zusätzlich beschäftigen wir aktuell sieben Studenten, die uns beim Marketing und bei der Programmierung unterstützen.

Ein Unternehmen zu gründen und die Durststrecken am Anfang zu überstehen, kostet eine Menge Geld. Wo nehmen Sie das her?
Risling: Aktuell unterstützt uns das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie mit seinem Förderprogramm »EXIST Forschungstransfer«. Damit werden Existenzgründungen aus der Wissenschaft gefördert. Wir werden uns auch noch um weitere Fördermöglichkeiten bemühen. Aber es ist auch wichtig, dass wir schnell wachsen, um im Laufe der Zeit unsere Technologie weiterentwickeln zu können. Deswegen bemühen wir uns um eine Außenfinanzierung durch Investoren oder Business Angels.
Inwiefern helfen Ihnen dabei die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des neu gegründeten Geschäftsbereichs Start-up Inkubator am Fraunhofer IPA?
Risling: Sie unterstützen uns insbesondere durch ihr Netzwerk und die vielfältigen Erfahrungen, die sie bereits mit Ausgründungen gesammelt haben. Beispielsweise haben sie Kontakt zu Venture Capital-Investoren hergestellt, deren Interessen mit unserer Vision übereinstimmen. Außerdem stehen die Mitarbeitenden in Kontakt mit verschiedenen Start-up-Verbünden wie NXTGN und ermöglichen uns damit einen intensiveren Austausch. Der Start-up Inkubator fungiert als Vermittler bei den Verhandlungen mit Fraunhofer Venture. Fraunhofer Venture ist für das Ausgründungs- und Beteiligungsmanagement der Fraunhofer-Gesellschaft zuständig.
retavi auf der Automatica 2025
Das retavi-Team stellt sein Software-Framework von 24. bis 27. Juni 2025 auf der Fachmesse Automatica in München vor. Um zu zeigen, wie die softwaredefinierte Automatisierung funktioniert, hat das Forschungsteam um David Breunig und Monika Risling einen Demonstrator aufgebaut, der die Funktionsweise und Nutzung des Software-Frameworks zeigt. Messebesucherinnen und -besucher können damit am Bildschirm die einzelnen Module kennenlernen und selbst ein Automatisierungsprojekt anlegen oder optimieren.
Halle A4, Stand 314
Welche Stationen auf dem Weg zur Selbstständigkeit haben Sie bereits hinter sich?
Breunig: Das EXIST-Förderprogramm läuft bereits seit etwa einem Jahr. In dieser Zeit haben wir die Grundlagen geschaffen: ein festes Team etabliert, die organisatorischen und administrativen Rahmenbedingungen geklärt, unsere Strategie ausgearbeitet, die Finanz- und Geschäftsplanung auf die Beine gestellt und retavi technisch weiterentwickelt. Wir wissen jetzt also, wo es mit dem Unternehmen und unserem Produkt hingehen soll.
Risling: Darüber hinaus stehen wir in Kontakt mit Interessenten und möglichen Kunden. Wir wollen ihre Meinung über das Produkt in die Entwicklung einfließen lassen. Aus dem Markt heraus haben wir bereits positives Feedback hinsichtlich der Notwendigkeit und der Preisgestaltung des Software-Frameworks gesammelt. Zudem haben wir die größten Pain Points der Branche analysiert, um zu etablieren, was potenzielle Kunden brauchen.
Und welche Stationen liegen noch vor Ihnen?
Breunig: Wir legen derzeit die Basis für Kundenprojekte und organisieren den Übergang vom Institutsbetrieb in die Selbstständigkeit. retavi existiert bisher als Marke. Das operative Unternehmen, die retavi GmbH, befindet sich aktuell in der Gründung.
Wann nimmt das Start-up retavi offiziell den Betrieb auf?
Breunig: Die Gründung wird im Sommer abgeschlossen sein. Wir sind alle weiterhin noch als Mitarbeiter des Fraunhofer IPA angestellt, bis dann im Herbst die Finanzierung aus dem EXIST-Förderprogramm ausläuft. Die retavi GmbH wird zum Jahreswechsel voll aktiv sein. Es wird zunächst einen geschlossenen Kundenkreis geben, mit dem wir unser Produkt weiterentwickeln. Unser Software-Framework muss so ausgereift und selbsterklärend sein, dass ein Maschinenbauer seine Maschinen und Anlagen damit ohne externe Unterstützung automatisieren kann. Das wollen wir bis zum Jahreswechsel von 2026 auf 2027 erreicht haben.
Ihre Ansprechpartner
Dr.-Ing. David Albert Breunig
Mitarbeiter im Forschungsteam IT-Architekturen für die Produktion
Telefon: +49 711 970-1375
Monika Risling
Mitarbeiterin im Forschungsteam Unternehmensinformationssysteme
Telefon: +49 711 970-1969