»Die Mehrheit will hybrid«

Portrait Oliver Schöllhammer

Quelle: Fraunhofer IPA/Foto: Rainer Bez

»Die Mehrheit will hybrid«

Die wenigsten Unternehmen haben eine klare Vision, wie ihr Arbeitsmodell nach der Corona-Pandemie aussehen soll. Ein Forschungsteam vom Fraunhofer IPA hat sich in einer internen Studie mit dieser Frage beschäftigt. Studienleiter Oliver Schöllhammer stellt im Interview die wichtigsten Erkenntnisse vor.

Veröffentlicht am 16.9.2021

Lesezeit ca. 5 Minuten

Das Fraunhofer IPA ist wieder einmal vorne dran. Das hat sich nach Abschluss der aktuellen internen Studie »Next Normal« ergeben. Gekoppelt an die »New Work«-Initiative der Fraunhofer-Gesellschaft hat Oliver Schöllhammer mit seinem Team die Belegschaft des Fraunhofer IPA sowie Kunden nach ihren Erfahrungen und Wünschen zum neuen Arbeiten in und nach dem Covid-Jahr befragt und spannende Ergebnisse erzielt. Ein Neben-Resultat: Schöllhammer wird immer wieder von der Fraunhofer-Gesellschaft angefragt, das Forerunner-Projekt des Fraunhofer IPA vorzustellen. Das Stimmungsbarometer beim Personal und bei den Kunden steht bei der neuen Arbeit klar auf »hybrid« – mit im Boot waren der Betriebsrat, der Arbeitsschutz, das Marketing, die IT, die Personalabteilung und Teile der Verwaltung. interaktiv sprach mit Schöllhammer, dem Leiter der Abteilung Unternehmensstrategie und -entwicklung.

Herr Schöllhammer, was ist in aller Kürze das Ergbnis der Studie, die Sie zum neuen Arbeiten nach Corona für das Fraunhofer IPA durchgeführt haben?

Ganz kurz gesagt: Die Mehrheit will hybrid. 90 Prozent unserer Mitarbeiter wünschen sich weiterhin die Möglichkeit, auch im Homeoffice arbeiten zu können. Die Spanne reicht hier von einem bis drei Tagen die Woche. Wir gehen davon aus, dass wir diese Wünsche in der Regel erfüllen können. Dabei geht es aber ganz klar um Nutzen und Sinn. Dort, wo es machbar ist, wird es hybrides Arbeiten geben, wo nicht, da eben nicht. Wir halten hier nicht sklavenhaft an bestimmten Lösungen fest. Dort, wo zum Beispiel in Kundenprojekten Vertrauen aufgebaut werden soll, wo man sich kennerlernen oder vor Ort die Lage in der Fabrik anschauen will, geht das natürlich nicht.

Und was sagen die Kunden und Projektpartner?

Die meisten Kunden sind sehr zufrieden mit der virtuellen Zusammenarbeit und zeigen sich offen für neue Projektformate wie virtuelle Workshops und Webinare. Deshalb werden wir auch diese virtuellen Formate in Projekten, auch Industrieberatungen, beibehalten beziehungsweise ausbauen müssen.

Gilt das für alle Personen, Gruppen und Abteilungen gleichermaßen?

Die Bedürfnisse und Vorlieben unterscheiden sich ja stark von Mensch zu Mensch und von Gruppe zu Gruppe. Die Produktivität und das Empfinden von Arbeit im Homeoffice hängt auch stark vom Individuum und der Wohnsituation ab. Auch die Tätigkeit an sich hat einen entscheidenden Einfluss auf die Möglichkeit, überhaupt zuhause zu arbeiten. Beide Aspekte, also Art der Arbeit und persönliche Situation, sollten bei der Ausgestaltung flexibler Arbeitsplatz- und Arbeitszeitkonzepte berücksichtigt werden. Die Entscheidung liegt hier bei den Organisationseinheiten.

Oliver Schöllhammer im Gespräch mit interaktiv-Autorin Birgit Spaeth
Oliver Schöllhammer im Gespräch mit Autorin Birgit Spaeth. (Quelle: Fraunhofer IPA/Foto: Rainer Bez

Sind denn dann Einheiten wie die Poststelle, die Werkstatt oder Teams die in Laboren arbeiten nicht benachteiligt? Die können ihren Job ja nicht außerhalb machen.

Sehr wichtig, insbesondere bei denen die kein oder nur wenig Homeoffice machen können, ist, dass sie zeitflexibel arbeiten können. Da sollte natürlich keine Ungerechtgkeit entstehen. Im Übrigen sagen wir: Nichts muss – alles kann. Es kommt schließlich, wie eigentlich immer am Fraunhofer IPA, auf das Ergebnis an. Wir sollten hier alle Möglichkeiten ausschöpfen.

Wie wird das denn organisiert, gibt es eine Betriebsvereinbarung?

Uns ist wie gesagt wichtig, anzuerkennen, dass nicht alle Organisationseinheiten gleich ticken. Wir haben sehr unterschiedliche Abteilungen, Gruppen und individuelle Arbeitsweisen am Fraunhofer IPA. Die Betriebsvereinbarung (BV) bietet hierzu einen sehr guten Rahmen. Neben der BV zum orts- und zeitflexiblen Arbeiten – bei uns »Flex Work« genannt, wird es noch sogenannte Team- beziehungweise Abteilungschartas geben, ein Tool, das wir von der Fraunhofer-Gesellschaft in München übernommen haben. Diese Chartas sind die Basis der hybriden Arbeitsweise und werden sehr individuell auf die einzelnen Bedürfnisse zugeschnitten sein.

Wie werden diese Teamchartas eingeführt?

Wir haben mit unterschiedlichsten Personengruppen die Bedürfnisse, die bei der Umfrage eruiert wurden, diskutiert. Daraus ergab sich der Rahmen, den wir mit Pilotabteilungen Marketing, IT, Personal etc. erprobt haben. Nach der Sommerpause können alle Organisationseinheiten, die das wollen, Teamchartas einführen. Sie regeln die Zusammenarbeit, soweit sie nicht durch die BV abgedeckt ist, und dienen damit der spezifischen Konkretisierung des orts- und zeitflexiblen Arbeitens für jede Organisationseinheit. Natürlich können wir hier die Kolleginnen und Kollegen unterstützen.

Für das virtuelle kooperative Arbeiten braucht es wahrscheinlich besondere IT-Tools, oder?

Ja, das stimmt. Gemeinsam mit der IT-Abteilung haben wir die notwendigen Anforderungen an Tools zur Kollaboration, Organisation und Kommunikation erhoben, damit wir auch in Zukunft sowohl intern als auch extern gut zusammenarbeiten können. Ausgewählt wurde wegen der Konformität mit der Datenschutz-Grundverordnung das Kollaborationsprogramm Concept Board. Wenn die Kunden aber andere Werkzeuge einbringen, dürfen unsere Leute das auch nutzen. Selbstverständlich wird es Schulungen geben.

Hört sich alles prima an. Was sind denn die Herausforderungen?

Die Studie hat ergeben, dass wir auf ein paar Dinge besonders aufpassen müssen: Einsamkeit ist für viele ein Thema und auch die Entgrenzung von Privat- und Arbeitsleben. Das muss in den jeweiligen Chartas sauber geregelt werden. Es kann natürlich nicht erwartet werden, dass die Leute im Urlaub Mails beantworten oder nach 20 Uhr noch ans Telefon gehen, auch wenn sie sich für Flex Work entscheiden.

Titelseite des Whitepaper Next Normal

Wie werden denn die künftigen Arbeitsplätze aussehen?

Die geringere Flächennutzung vor Ort bietet ganz neue Gestaltungspotenziale. Entsprechend eingerichtete Kollaborationsflächen, Meetinginseln, Telefonkabinen und so weiter schaffen eine flexible Arbeitsumgebung, die ganz nach den Bedürfnissen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter genutzt werden können. Das hat dann hoffentlich positive Auswirkungen auf Kommunikation, Produktivität und Kreativität.

Wie geht das Fraunhofer IPA hier vor?

Bald kommt eine neue Arbeitsplatzgestaltung mit online buchbarem Desk-Sharing – aber auch den persönlichen Schreibtisch wird es wie gesagt weiterhin geben. Es ist die freie Entscheidung der Einzelnen, ob sie beim Flex Work mitmachen oder ein eigenes Büro behalten wollen. Es gibt ja Leute, die die Bücherstapel auf dem Schreibtisch zur Inspiration brauchen oder zuverlässig feste Arbeitszeiten bevorzugen. Ein Hauptantrieb für die ganze Aktion, also die Studie und das Projekt New Normal, ist es ja, die Zufriedenheit der Mitarbeiter zu erhalten und zu steigern. Es kommt darauf an, dass wir als Arbeitgeber attraktiv sind. Wir gehen damit weg von der Präsenzkultur hin zu noch mehr Ergebnisorientierung bei gleichzeitiger Erhöhung der Lebensqualität. Viele können sich beispielsweise in Zukunft ihre Bleibe in Stuttgart sparen, wenn sie bisher übers Wochenende heimgependelt sind. Vielleicht richten wir ja dann für die wenigen immer noch notwendigen Übernachtungen eine IPA-Wohngemeinschaft ein.

Ihr Ansprechpartner

Dipl.-Betriebswirt Oliver Schöllhammer

Leiter der Abteilung Unternehmensstrategie und -entwicklung
Telefon: +49 711 970-1947