Yağmur Damla Dokur. (Alle Fotos: Fraunhofer IPA/Rainer Bez)
Vorgestellt! Ein Tag mit… Yağmur Damla Dokur
Im Zentrum für Biointelligente Produktion bilanziert Yağmur Damla Dokur den CO2-Fußabdruck von Produkten, spürt vermeidbare Emissionen im gesamten Produktlebenszyklus auf und sucht nach Wegen, wie sich Wasserstoff aus biologischen Quellen gewinnen lässt. Dass sie privat fürs Auto brennt, ist dabei kein Widerspruch, sondern ihr Antrieb.
Veröffentlicht am 7.4.2022
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Es sieht aus wie ein Schaltplan, was Yağmur Damla Dokurs Bildschirm anzeigt. Doch mit Elektronik haben all die Linien und Kästchen nichts zu tun. »Das ist die Ökobilanz eines bivalenten Tiegelofens«, sagt die Forscherin vom Zentrum für biointelligente Produktion am Fraunhofer IPA. Ein solcher Ofen kann in Metallgießereien nicht nur mit verschiedenen Energieformen, etwa Strom und Erdgas, angefeuert werden, sondern er kann auch Schwankungen im Netz ausgleichen.
Dokur kann also berechnen, wie viel CO2 oder andere Emissionen ein Produkt über seinen gesamten Lebenszyklus hinweg verursacht. Ihre Mission ist es den Ausstoß von Triebhausgasen zu reduzieren, indem sie vermeidbare Emissionen aufspürt und diese dann ganz oder teilweise beseitigt. So könnten Tiegelöfen in Zukunft mit Wasserstoff betrieben werden. Überhaupt hält Dokur grünen Wasserstoff für eines der großen Zukunftsthemen. Denn das gasförmige Element könnte überall dort zum Einsatz kommen, wo der Energieverbrauch und damit auch der Ausstoß von Treibhausgasen besonders groß ist: in der Schwerindustrie und im Schwerlastverkehr.
Früh zeigte sich ihre Vorliebe fürs Auto
Dokur sieht den Klimawandel und andere drängende Umweltprobleme als Ursache für soziale Ungerechtigkeiten – nicht nur über Kontinente, sondern auch über Generationen hinweg. Mit ihrer Arbeit möchte sie dazu beitragen, diese Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Dieses Bewusstsein für Nachhaltigkeit ist in den vergangenen Jahren in ihr erwacht. Denn in ihrer Kindheit und Jugend machte sie sich über die Umwelt noch keine Sorgen. »Das war damals in der Türkei einfach kein Thema«, erinnert sie sich.
Schon als Dreijährige kannte sie alle Automarken und -modelle mit Namen, die sie in den Straßen Istanbuls sah. Wo sie ihre Vorliebe für das Automobil herhat, ist ihr allerdings nicht bekannt. »Es gibt in meiner Verwandtschaft keine Autoverrückten«, sagt sie. Dokur spielte als Kind lieber mit Autos als mit Puppen und verbrachte in ihrer Jugend anfangs viel Zeit auf der Kartbahn. Doch ihr Engagement dort ließ mit der Zeit nach. »Ich merkte damals, dass ich lieber mit dem Kopf arbeite, dass es mir mehr Freude macht Autos zu entwickeln als mit ihnen im Kreis herumzufahren«, sagt sie heute.
Einmal verbrachte sie ihre Sommerferien in Deutschland mit der Begründung dort eine Sprachschule besuchen zu wollen. In Wirklichkeit reiste sie mehrere Wochen lang durch die Republik, besuchte Automobilmuseen und Formel-1-Rennen. Dabei kam sie mit anderen Zuschauern ins Gespräch – und so bekam sie schließlich ein zweiwöchiges Schülerpraktikum bei Daimler in Sindelfingen vermittelt.
Engagement beim Konstruktionswettbewerb Formula Student Germany
Im Herbst 2013 kam Dokur mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes wieder nach Deutschland und begann ihr Studium des Wirtschaftsingenieurwesens am Karlsruher Institut für Technologie. Nebenher engagierte sie sich bald beim Konstruktionswettbewerb Formula Student Germany. Im ersten Jahr war sie selbst an der Konstruktion und Fertigung der Rennwägen des Teams »KA-RaceIng« beteiligt. Dann übernahm sie dessen Leitung, war unter anderem zuständig für das Projektmanagement und Ansprechpartnerin für Sponsoren und die Universität. Unter Dokurs Führung errang KA-RaceIng mehrere Teilsiege und den Gesamtsieg mit einem autonom fahrenden Rennfahrzeug.
Ihre ersten Erfahrungen mit wissenschaftlicher Arbeit zu Energie- und Nachhaltigkeitsthemen sammelte sie als studentische Hilfskraft beim Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe. Ihre Masterarbeit schrieb sie schließlich beim Porsche-Entwicklungszentrum in Weissach, wo sie sich mit der Nachhaltigkeit der additiven Fertigung beschäftigte. Dabei erstelle sie ihre erste Ökobilanz. Das machte ihr Spaß und deshalb wechselte sie im Dezember 2021 zum Fraunhofer IPA.
Mobilität soll umweltfreundlicher werden
Wendet sie sich also allmählich ab vom Auto? Nicht wirklich. »Ich kann mich nach wie vor für Autos begeistern«, sagt Dokur, »und ich fände es schade, wenn wir uns in Zukunft hinsichtlich unserer Mobilität einschränken müssten. Genau deshalb arbeite ich daran, sie über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg umweltfreundlicher zu gestalten.« Mit einer energieeffizienten Produktion zum Beispiel.
Oder mit klimaneutralen Antrieben wie Wasserstoff. Das nämlich ist ihr zweites großes Forschungsthema am Fraunhofer IPA. Unter der Führung ihres Kollegen Johannes Full und zusammen mit weiteren Forscherinnen und Forschern vom benachbarten Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB sucht sie nach Wegen, wie sich Wasserstoff durch Bakterien und aus Holzabfällen oder Industrieabwasser gewinnen lässt. Mehrere dieser Verfahren, mit denen sich dieser sogenannte Biowasserstoff produzieren lässt, konzipiert und bewertet Dokur derzeit zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen. Das vielversprechendste Verfahren soll dann in einer Demonstratoranlage umgesetzt werden.
Die Fähre, die Dokur als Schülerin über den Bosporus zur Schule brachte und dabei eine rußig-schwarze Rauchwolke hinter sich herzog, könnte dann in Zukunft mit sauberem Biowasserstoff angetrieben werden.
Ihre Ansprechpartnerin
Yağmur Damla Dokur
Mitarbeiterin der Gruppe Lebenszyklusanalyse und biointelligente Systemgestaltung
Telefon: +49 711 970-1403