Kabarettist Vince Ebert (Foto: Frank Eidel)
Make Science Great Again!
Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie sind die Naturwissenschaften in aller Munde. Selbst Menschen, die stolz zugeben, Mathe und Physik in der 7. Klasse abgewählt zu haben, fachsimpeln plötzlich über Exponentialfunktionen und die Höhe der wöchentlichen Inzidenzwerte.
Ein brennendes Plädoyer von Zukunftsforscher Vince Ebert
Noch vor wenigen Monaten wussten die meisten noch nicht einmal, dass es Epidemiologen gibt. Heute existieren in Deutschland gefühlte 80 Millionen davon. Virologen wurden zu Popstars. Allen voran Christian Drosten, der mittlerweile mehr Twitter-Follower hat als Mario Barth. Und spätestens als am 2. Dezember 2020 der erste mRNA-Impfstoff zugelassen wurde, scheint klar: Es ist die große Zeit der Naturwissenschaften. Oder doch nicht?
Denn klar ist auch: Parallel zur Impfstoff-Entwicklung wuchsen die Verschwörungstheorien. Mal wurde Bill Gates für das Virus verantwortlich gemacht, mal der KGB. Ein islamischer Geistlicher behauptete auf Youtube, dass Gott die Seuche über die Welt gebracht hat, um Homosexuelle zu bestrafen. Und ein paar Tage später ist er dann selbst daran erkrankt. Sogar der Papst hat das Virus als ein Zeichen gesehen, dass wir »die Natur missbrauchen«. Gesagt hat er das im März 2020 bei strömendem Regen auf dem menschenleeren Petersplatz. Und ich dachte mir damals: Jetzt sieht er mal, wie es mir bei meinen allerersten Open-Air-Veranstaltungen gegangen ist.
Wissenschaft erklärt, wie Dinge funktionieren
Corona beschäftigt uns eben alle. Im Lockdown wurden wir plötzlich zurückgeworfen auf fundamentale Grundfragen: Darf ich mir ohne Covid-Test selbst die Haare schneiden? Sollte ich aus Sicherheitsgründen meine E-Mails lieber mit doppeltem Zeilenabstand schreiben? Und warum zum Teufel drückt sich dieser Drosten immer so vorsichtig aus? Der soll uns gefälligst sagen, was wir tun sollen!
Zur Person
Vince Ebert ist Diplom-Physiker und Kabarettist. Seit 20 Jahren begeistert er mit seinen Bühnenshows tausende Zuschauer, in der ARD moderiert er die Sendung »Wissen vor Acht«. Seine Bücher verkauften sich über eine Million Mal. Er ist einer der gefragtesten Vortragsredner des Landes. Mit intelligentem, trockenem Witz verfolgt er konsequent eine Mission: Make Science Great Again sowie den leidenschaftlichen Appell, das eigene Gehirn zu benutzen.
Seit über 20 Jahren stehe ich nun schon auf der Bühne und versuche meinem Publikum zu erklären, was die Wissenschaft kann. Während Corona jedoch habe ich realisiert, dass vielen überhaupt nicht klar ist, was Wissenschaft nicht kann. Wissenschaft sagt uns nämlich nicht, was wir tun sollen. Wissenschaft erklärt lediglich, wie bestimmte Dinge funktionieren.
In den letzten 300 Jahren hat die Wissenschaft unglaublich viel herausgefunden. Wir wissen inzwischen, dass das Universum expandiert, dass die Welt aus Atomen besteht und dass der Mensch die Hälfte seines Erbmaterials mit einer Banane gemeinsam hat. Was nicht bedeutet, dass man aus zwei Bananen einen Menschen machen kann. Auch, wenn man das bei manchen vermuten könnte.
Wissenschaft liefert eine Menge Erkenntnisse. Aber sie macht keine Aussagen darüber, wie wir als Gesellschaft auf diese Erkenntnisse reagieren sollen. Was selbstverständlich nicht heißt, sie zu ignorieren. Gerade weil bekannt war, dass sich das Virus exponentiell vermehrt, hätte man am Anfang die Zahl der Infizierten sofort halbieren können, wenn man sie durch zwei geteilt hätte. Das ist ganz simple Mathematik.
Wissenschaft bedeutet nicht, den genauen Weg zu kennen
Was muss ich tun, um den Klimawandel in den Griff zu bekommen? Wie kann ich Allergien vermeiden? Was passiert, wenn ich beim Italiener Pasti und Antipasti zusammenbringe? Die allermeisten wissenschaftlichen Phänomene sind hochkomplex und uneindeutig. Und genau dieser Gedanke ist der Allgemeinheit schwer zu vermitteln. Denn am liebsten hätten wir eindeutige Aussagen. Erst recht in einer solchen Ausnahmesituation. Aber so funktioniert der wissenschaftliche Erkenntnisprozess nun mal nicht.
Wissenschaft bedeutet nicht, den genauen Weg zu kennen, sondern sich auf einen unbekannten Weg einzulassen. Man stellt eine Hypothese auf und überprüft sie. Dann kommen neue Daten und man überprüft neu. Gegebenenfalls muss man die Ausgangshypothese über den Haufen werfen und einen neuen Denkansatz ausprobieren. Und so irrt man sich Stück für Stück nach oben.
Mir ist das zum ersten Mal während meiner Diplomarbeit klargeworden: »Infrarot- und Raman-spektroskopische Untersuchungen an ferroelektrischen Betain-Mischkristallen«. Ich weiß, das klingt erst mal einfacher, als es ist. Aber es war definitiv ein Thema, bei dem auch der kleine Mann auf der Straße gesagt hat: »Wow, so habe ich das noch gar nicht gesehen«.
Die Realität jedoch war frustrierend. Fast ein ganzes Jahr lang saß ich in einem dunklen Kellerlabor und habe Kristallsysteme untersucht, über die weltweit gerade mal zwanzig, dreißig Leute Bescheid wussten. Und zum Schluss kam heraus, dass irgendwie nichts herauskam. Die Doktoranden in meiner Arbeitsgruppe haben dazu nur gesagt: »Ja, das haben wir uns alle schon gedacht. Aber der Chef wollte unbedingt, dass das jemand mal nachprüft.« Na toll. Oder wie Einstein gesagt hat: Wenn wir wüssten, was wir täten, wäre es keine Forschung.
Wissenschaft ist erfolgreich, weil man improvisiert, testet, revidiert
Die Methode der Wissenschaft ist deswegen so erfolgreich, weil man improvisiert, testet, revidiert und dadurch auf Dinge kommt, die man ursprünglich niemals auf dem Plan hatte. Porzellan wurde erfunden, weil die Alchemisten eigentlich Gold herstellen wollten. Penicillin entstand, weil man eine mit Pilzsporen verunreinigte Bakterienkultur aus Versehen ein paar Tage stehen ließ. Viagra wurde entdeckt, weil männliche Versuchspersonen ein Herzmedikament in der Testphase partout nicht mehr absetzen wollten.
Das Eingestehen von Unwissen ist eine der größten Stärken der Wissenschaft. Und gleichzeitig ist dieses Eingeständnis ihre vielleicht größte Schwäche, wenn es um die allgemeine Akzeptanz der Wissenschaft geht. Doch wir müssen wohl oder übel akzeptieren, dass die Wissenschaft keine Wahrheiten verkünden kann. Dass sie uns allenfalls Orientierung und Hinweise gibt, wie unsere Welt funktioniert und wie wir sie Stück für Stück verbessern können.