Quelle: Fraunhofer IPA/Foto: Rainer Bez
»Unser Hygienebewusstsein wird sich nachhaltig ändern«
Seit Beginn der Pandemie erfahren Desinfektions- und Reinigungsroboter großes Interesse. Mit ihnen beschäftigt sich Dr. Birgit Graf seit vielen Jahren. Im Interview spricht sie über den neuesten Roboter »DeKonBot«, ihr Forschungsprojekt »MobDi« sowie Entwicklungen zur Robotik in der Gesundheitsbranche.
Frau Graf, Sie und Ihr Team haben kürzlich einen neuen Serviceroboter für Desinfektionszwecke vorgestellt. Er hat in der Öffentlichkeit viel Aufmerksamkeit erfahren. Beschreiben Sie uns doch kurz, was der »DeKonBot« genannte Roboter kann.
DeKonBot ist ein mobiler Roboter für die Wischdesinfektion. Er kann Oberflächen wie Türgriffe, Lichtschalter oder Aufzugknöpfe erkennen, selbstständig zu diesen hinfahren und mit seinen Reinigungstüchern eine geeignete Wischbewegung ausführen. Um diese Bewegung einzulernen, bewegt der Anwender den Roboterarm aktuell einmal so, wie es für die Reinigung erforderlich ist, und der Roboter speichert diese Bahn ab. Zukünftig wird er die Bahn auf Basis der Objekterkennung eigenständig planen. Das Praktische an DeKonBot ist, dass er auch unter Menschen agieren kann, weil er das Desinfektionsmittel nicht großflächig einsetzt. Aktuell ist DeKonBot ein Prototyp. Mit den weiteren Optimierungen, die wir im Moment durchführen, hoffen wir, perspektivisch einen Beitrag gegen die Ausbreitung des Virus leisten zu können. Das öffentliche Leben muss ja auch unter den aktuellen Einschränkungen irgendwie weitergehen.
Was hat Sie zu dieser Entwicklung motiviert?
Meine Forschungsgruppe beschäftigt sich bereits seit vielen Jahren mit der Reinigungsrobotik. Neben diversen Projekten im Bereich der Haushaltsstaubsauger ging es sowohl im Projekt »AutoPnP« als auch im Projekt »BakeR« um die Reinigung von Bürogebäuden. Während wir in AutoPnP mit dem Care-O-bot 3 noch einen vorhandenen Roboter für die Umsetzung genutzt hatten, haben wir in BakeR einen komplett neuen Roboter für dieses Einsatzfeld aufgebaut. Die umgesetzte Anwendung war die Bodenreinigung, es ging aber auch darum, dass ein Roboter mit einem Arm zum Beispiel Türen öffnen oder Papierkörbe leeren kann. Das Wischen von Oberflächen hatten wir bisher nicht umgesetzt, aber immer wieder diskutiert. Es ist eine sehr häufig benötigte Reinigungsaufgabe und würde somit das Personal weiter entlasten. Als dann die Corona-Krise kam, haben wir im Team überlegt, was wir mit unserer technischen Expertise beitragen können. Eine Automatisierung der Oberflächen-desinfektion durch mobile Roboter, um einen der möglichen Übertragungswege des Virus einzudämmen, war dann sehr schnell der logische Schritt.
Das Projekt lief nur neun Monate. Wie konnten Sie so schnell einen Prototyp präsentieren?
Das war in der Tat eine rasante Entwicklung. DeKonBot ist ja eine gemeinschaftliche Entwicklung dreier Abteilungen vom IPA, sonst wäre das nicht möglich gewesen. Die Hardware, bestehend aus einer Care-O-bot-4-Basis und einem Scara-Arm, haben wir weitgehend vom Roboter »Kevin« übernommen, der in der Abteilung »Laborautomatisierung und Bioproduktionstechnik« entwickelt wurde. Seine Aufgabe dort ist es, autonom Proben zu transportieren. Die Kollegen entwickelten für DeKonBot beispielsweise auch die Sprühmechanik, um die Reinigungspads zu benetzen. Zudem passten sie die Steuerung des Roboters für die neue Aufgabe an und auch die GUI, also die Bedienoberfläche, mit der der Roboter eingelernt wird. Wir konnten viele Erfahrungen aus dieser Entwicklung nutzen und innerhalb von nur einer Woche einen ersten Demonstrator für die Anwendung aufbauen. Hier nutzte der Roboter noch ein Sprühwerkzeug. Allerdings änderten wir dies schon bald. Denn in Gesprächen mit Reinigungsdienstleistern wurde klar, dass die Wischdesinfektion sinnvoller ist. Sie entfernt nämlich auch möglichen Schmutz, der Keime verdecken könnte.
Welchen Beitrag leisteten die anderen beiden Abteilungen?
Die Kollegen aus der »Reinst- und Mikroproduktion« validierten die Ergebnisse der Desinfektion. Sie überprüften beispielsweise, wie gut der Roboter alle Bereiche erreicht und ob mögliche Verunreinigungen auch wirklich verschwinden. Die Frage ist ja auch, wie oft das Reinigungspad benutzt oder ausgetauscht werden muss, damit es die Keime wirklich entfernt und nicht weiterverteilt. Letzteres darf natürlich nicht passieren. Wir aus der Abteilung Roboter- und Assistenzsysteme lieferten auf Basis unserer umfassenden Vorarbeiten die grundlegenden Robotertechnologien wie Navigation, Manipulation und das Erkennen beispielsweise der Türklinken oder anderer zu reinigender Objekte. Wir nutzen dabei Verfahren des Maschinellen Lernens, um möglichst flexibel zu sein. Türgriffe gibt es schließlich in zahlreichen Varianten, die dem Roboter unmöglich alle separat eingelernt werden können. Hinzu kommen Türknäufe sowie flache Objekte wie Lichtschalter und Aufzugknöpfe, die je nach Form anders gewischt werden müssen. Außerdem entwickeln wir gerade einen ganz neuen Sensor. Dieser nutzt ein Lichtschnittverfahren, damit er besonders spiegelnde Oberflächen, wie Metallgriffe, gut erkennen und präzisere 3D-Daten davon liefern kann. Und schließlich haben wir uns auch um die Risikoanalyse gekümmert.
Das »DeKonBot«-Projekt war noch nicht abgeschlossen, da startete schon Ihr nächstes Projekt in der Servicerobotik mit insgesamt zwölf Partnern aus der Fraunhofer-Gesellschaft. Was hat es mit der »Mobilen Desinfektion« oder MobDi auf sich?
Die Fraunhofer-Gesellschaft hat das interne Aktionsprogramm »Fraunhofer vs. Corona« ins Leben gerufen, von dem sowohl DeKonBot als auch MobDi finanziert werden. Zunächst wurden eher kleinere Projekte bewilligt, in der zweiten Phase ging es darum, gleichartige Projekte zu clustern. Die rund 70 Institute der Fraunhofer-Gesellschaft ergänzen sich mit ihrem Technologie-Portfolio sehr gut und es gilt, Kompetenzen strategisch zu bündeln. MobDi ist mit zwölf Partnern ein sehr großes Projekt, das auch von verschiedenen Vorgängerprojekten profitiert. Darin sollen unter anderem Desinfektionsroboter für zwei Einsatzfelder eingesetzt werden. Einer ist für öffentliche Gebäude gedacht und wird sozusagen der DeKonBot 2. Dafür wird der aktuelle Roboter hardwareseitig noch angepasst. Der andere Roboter wird für Desinfektionszwecke im ÖPNV aufgebaut. Hierfür braucht es beispielsweise eine spezielle Antriebseinheit, die auch Spalten und Stufen überwinden kann.
Die Software beider Roboter wird eine deutlich verbesserte Desinfektionsleistung ermöglichen: Die Roboter erkennen dank eines noch detaillierteren Umgebungsmodells, aus welchem Material ein zu reinigendes Objekt besteht und wie verschmutzt es ist. Entsprechend diesen Informationen wählen die Roboter die Desinfektionsmethode. Dazu werden im Projekt Werkzeuge beispielsweise für die Desinfektion durch Wischen, Sprühen, UV oder Plasma und ein Werkzeugwechselsystem entwickelt. Neben den Desinfektionsrobotern entsteht im Projekt ein weiterer Roboter, der für den flexiblen, hygienegerechten Materialtransport in Kliniken eingesetzt werden kann. Um den Transfer in die Praxis zu ermöglichen, begleiten umfassende Nutzerstudien und Wirtschaftlichkeitsanalysen die technischen Entwicklungen.
Welche Aufgaben werden Sie und Ihr Team in MobDi übernehmen?
Wir bauen zum einen den eben genannten Transportroboter auf, der sich durch einen besonders kleinen Footprint und dadurch eine hohe Flexibilität auszeichnet. Hierfür nutzen wir Vorarbeiten aus unserem SeRoDi-Projekt, in dem wir einen intelligenten Pflegewagen entwickelt haben. Zum anderen verantworten wir die Integration der neuen Technologien und Funktionalitäten in die nächste Ausbaustufe des DeKonBot und entwickeln unsere Software zur Navigation, Manipulation und Objekterkennung weiter. Nicht zuletzt koordinieren wir das Projekt und beschäftigen uns mit der frühzeitigen Einbin-dung potenzieller Vermarktungspartner aus der Industrie. Weil es nur ein Jahr Laufzeit hat, ist MobDi ein durchaus sportliches Unterfangen.
Welchen Stellenwert hat die Reinigungs- und Desinfektionsrobotik für Ihre Arbeit und das IPA insgesamt?
Dass Reinigungs- oder Desinfektionsrobotern durch die Corona-Pandemie großes Interesse widerfährt, liegt nahe. Wo sehen Sie weitere Entwicklungsschübe für die Robotik bedingt durch die aktuelle Situation?
Wir erleben, dass auch die Robotik für das Gesundheitswesen mehr in den Blick gerät. Lösungen, die dem Pflegepersonal beispielsweise Laufwege ersparen, sind drängender denn je, um die Arbeitsbelastung zu reduzieren. Dadurch hat das Personal mehr Zeit für die eigentliche Pflegetätigkeit. Genau hier würde ein autonomer Transportroboter ansetzen, wie wir ihn in MobDi entwickeln. Ein ebenso wichtiger Effekt: Er würde die Keimbelastung reduzieren, weil das Personal weniger unterwegs ist, und könnte Patienten in Quarantäne mit Essen und weiterem versorgen, sodass das Personal einem geringeren Infektionsrisiko ausgesetzt ist. Auch bei Kommunikations- und Telepräsenzrobotern sehen wir steigendes Interesse. Sie halten den Kontakt mit Angehörigen aufrecht, auch wenn ein realer Kontakt gerade nicht möglich ist. Hier haben wir mit unserem mobilen Kommunikationsassistenten MobiKa ebenfalls bereits wertvolle Vorarbeiten geliefert.
Weitere Informationen
Ihre Ansprechpartnerin
Dr.-Ing. Dipl.-Inf. Birgit Graf
Leiterin der Gruppe Haushalts- und Assistenzrobotik
Telefon: +49 711 970-1910