Der Mensch im Mittelpunkt der Produktion. In diesem Fall Johann Soder selbst. (Quelle: Fraunhofer IPA/Foto: Fred Nemitz)
»Wir wollen unsere Kunden begeistern«
Es braucht Mut, Neugierde und Leidenschaft: Mit diesem Plädoyer beendete Johann Soder seinen Abschlussvortrag im Rahmen der Lernreise »Fabrik der Zukunft: Lean, Green, Digital«. Der Visionär und Macher schaut auf spannende Jahre bei SEW-EURODRIVE zurück, gewährt einen Einblick ins Unternehmen und spricht über den Wandel der Arbeits- und Produktionswelt.
Von Fred Nemitz
Gleich zu Beginn des Gesprächs erzählt Johann Soder eine Anekdote, die zeigt, aus welcher Generation er stammt, besser gesagt, aus welchem Holz er geschnitzt ist. Sein Vater nahm ihn als damals 15-Jährigen auf dem Moped mit, fuhr ihn vor die Fabriktore von SEW-EURODRIVE und sagte: »Junge, jetzt bist Du für Dein Leben verantwortlich. Mach was draus. Geh da rein und bewirb Dich.« 53 Jahre später hat der gebürtige Hambrückener und zweifache Familienvater das mittelständische Familienunternehmen geprägt wie kein anderer.
Soder folgte dem Rat seines Vaters und machte tatsächlich eine Ausbildung beim hiesigen Wunscharbeitgeber. Auf dem zweiten Bildungsweg eignete er sich betriebswirtschaftliche Managementkenntnisse an. In den 1990er Jahren baute er bei SEW-EURODRIVE die Elektronikproduktion auf, wurde Werksleiter, danach Geschäftsführer Produktion, später Geschäftsführer Technik. Die Gesellschafter des Unternehmens vertrauen dem Visionär und Macher und gaben ihm immer wieder neue Projekte zur Bearbeitung. Das zahlte sich aus, denn Soder hatte viele Ideen und war an deren Umsetzung interessiert. Er ging oft die Extra-Meile, war morgens der Erste, der das Licht anmachte und abends der Letzte, der es ausmachte. Oder um es in seinen Worten zu sagen: »Ich lebe, um zu arbeiten.«
Soder ist dankbar, dass man ihn machen ließ. »In all den Jahrzehnten bin ich gemeinsam mit dem Unternehmen gewachsen und konnte die Entwicklung des Unternehmens aktiv mitgestalten.« In den letzten vier Jahren entwickelte er als Chief Operating Officer die Unternehmensstrategie mit und verantwortete das operative Geschäft. Seit Anfang des Jahres ist er Geschäftsführer für Sonderthemen. Zu denen gehören die Generalbebauungen, die Entwicklung neuer innovativer Arbeitsprozesse in den Fabriken, die Weiterentwicklung des Inhouse-Consulting sowie die Umsetzung des großen Themas Digitalisierung. Dazu kommt noch sein »persönliches Hobby«, die MAXOLUTION®, um moderne Smart Factories gemeinsam mit den Kunden zu gestalten und umzusetzen. Summa summarum wird es dem 68-Jährigen nicht langweilig.
Lean als Basis für alles
Hätte er vor 53 Jahren gedacht, dass sich die Produktionswelt so verändert? Soder: »Für mich lässt sich die Zeit in zwei Epochen einteilen. Zum einen gab es eine sehr verrichtende Arbeitsweise. Menschen haben nur einzelne Tätigkeiten durchgeführt. Eher monoton, nichts Spannendes. Das hat sich mit dem Lean-Ansatz geändert. Der Mensch rückte wieder mehr in den Mittelpunkt. Neue Arbeitsprozesse wurden in der gesamten Wertschöpfungskette geschaffen. Und mit Industrie 4.0 treten wir die Reise in die nächste Epoche an hin zur intelligenten Fabrik.«
Für Soder ist Lean in der höchsten Perfektion die Basis für alles. Jetzt gilt es, beide Ansätze – Lean Management und Industrie 4.0 – zu verknüpfen und eine Mensch-Technik-Kooperation zu realisieren. Aus seiner Sicht soll Technik den Menschen bei der täglichen Leistungserbringung unterstützen. Und was hat die digitale Transformation sonst noch so gebracht? Die Produktivität verbessert, die Performance verbessert und eine bessere Kundenorientierung möglich gemacht. »Vor fünf Jahren haben wir unsere Philosophie dahingehend geändert, dass wir gesagt haben, wir wollen unsere Kunden nicht nur zufriedenstellen. Wir wollen unsere Kunden begeistern«, so Soder. Daraufhin hat ihn seine Belegschaft gefragt: Wie sollen wir unsere Kunden begeistern? Was genau heißt das für uns? Aus dem Bauch heraus sagte er daraufhin: »Unsere Kunden in die Lage versetzen, mit unseren Produkten und Lösungen nachhaltig Geld verdienen zu können«.
Matrixproduktion als Schlüsselfaktor
Im Vorzeigewerk Graben-Neudorf ist Industrie 4.0 seit Jahren gelebte Realität: Der Kundenauftrag sucht sich seinen Weg durch die Fabrik. Er verhandelt seine Bearbeitung. »Wir haben die Gedanken der Matrixproduktion umgesetzt. Das Fraunhofer IPA hat hier sehr viel Aufbauarbeit geleistet. Die Dinge mitentwickelt, viel mit uns diskutiert. Das war für uns eine große Bereicherung«, fasst Soder das kooperative Miteinander zusammen und fährt fort: »Wir haben das konsequent im Brown-Field-Ansatz umgesetzt. Und wir haben es dann noch getoppt, indem wir eine neue Fabrik für Motorenproduktion gebaut und alles noch ein Stück besser und perfekter gemacht haben«.
»In unserem Industriearbeitskreis ›Ganzheitlich Produktionssysteme 4.0‹ konnten wir das SEW-Konzept für die Smart Factory, dessen Prinzipien und deren konsequente Umsetzung vor Ort in Form von Small Factory Units hautnah erleben.«
Simon Schumacher, Forschungsteamleiter Einführungs- und Umsetzungsmethoden für IT-Lösungen am Fraunhofer IPA
Seine Mannschaft auf dem Shopfloor erlebt jeden Tag aufs Neue gelebte Mensch-Technik-Kooperation. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden in der täglichen Leis-tungserbringung durch frei navigierende Cobots unterstützt. Alle Ansätze haben sich stabilisiert und sind in der Realität angekommen. Und dennoch ist der Zenit längst nicht erreicht. Soder: »Der Ansatz Smart Factory und Smart Company ist noch nicht zu Ende. Das intelligente Unternehmen muss sich ein Stück neu erfinden. Dafür erforderlich ist auch, die Wertschöpfungskette neu zu erfinden – in allen Bereichen des Unterneh-mens«. Lebenslanges Lernen bleibt die größte Herausforderung, aber auch die größte Chance.
Das Streben nach Perfektion
Für Soder braucht es ein paar einzelne Köpfe, die das Unternehmen tragen und voranbringen und die Geschicke des Unternehmens lenken. »Jede Führungskraft hat auch die Aufgabe, für seine Nachfolge zu sorgen. Ich habe sehr früh begonnen, um mich herum eine Mannschaft aufzubauen, die ich geführt, ausgebildet und mitgenommen habe. Mitgenommen auf eine Reise.« Kreativ und innovativ sollen sie sein, die Leader der Zukunft, nach vorn strebend. Neben aller Führungsstärke braucht es aus seiner Sicht natürlich auch viele helfende Hände und ausführende Organe, das sei klar. Ohne sie würde das Schiff keinen Meter vorankommen.
Soder malt gern Bilder, weiß um die Macht der Worte, aber lebt auch genau das vor, was er sagt. Und das mit ganz viel Leidenschaft. Auch seine Präsentationen begeistern Besucher aus aller Welt, die sich Inspiration und Ideen holen wollen für das eigene Unternehmertum. Ende der 199er Jahre war er derjenige, der nach Japan reiste und feststellte: »Ich habe nicht viel Neues gesehen. Aber was mich tief beeindruckt hat, war die Konsequenz und die Disziplin, mit der die Dinge umgesetzt wurden. Das Streben nach Perfektion war einzigartig. Diesen Gedanken habe ich mitgenommen und zu SEW-EURODRIVE getragen«. Jetzt kommen Delegationen aus Japan und Korea nach Bruchsal und Graben-Neudorf und schauen sich an, wie Industrie 4.0 in Deutschland Fabriken und Prozesse transformiert.
Schöne neue digitale Welt
Auf die Frage, was das Herzstück der Digitalisierung sei, hat Soder eine klare Antwort: der digitale Zwilling. Denn der sorgt dafür, hocheffiziente Prozesse zu realisieren und hocheffiziente Applikationslösungen zu schaffen – bis hin zu hocheffizienten Fabriken, die leistungsfähig Produkte herstellen. Das heißt: Beim ersten Strich des Kunden im Konstruktionsbüro entstehen strukturiert geordnete Daten. Durch Simulation ist man früh in der Lage, neue Produktideen und -konzepte dahingehend zu überprüfen, ob diese das bringen, was man sich vorstellt. Entwicklungszeiten werden extrem verkürzt bei gleichbleibend hohem Qualitätsstandard.
»SEW-Eurodrive ist einer der Good Practices im Bereich der Matrixproduktion. Die Fertigung und Montage von Antriebstechnik im Werk Bruchsal erfolgt in einem durchgängigen Cyber-physischen Matrixproduktionssystem.«
Susann Kärcher, Forschungsteamleiterin Montageplanung am Fraunhofer IPA
Wenn das gewährleistet ist, gilt es, die nächste Stufe zu zünden: Die intelligenten Applikationslösungen liefern Informationen aus den Maschinen und Anlagen. Daraus lassen sich neue Geschäftsmodelle entwickeln, wie zum Beispiel Predictive Maintenance oder Condition Monitoring. Das erlaubt, sehr wirtschaftliche Betriebstätten zu realisieren. Das wiederum erhöht die Wirtschaftlichkeit und macht Deutschland als Produktionsstandort wettbewerbsfähiger.
Und green? Und resilient?
»Wir vollziehen den Wandel zum smarten, besser noch intelligenten Unternehmen, das lean, agil, digital, green und resilient ist. Auf diesen fünf Ansätzen haben wir das Wertschöpfungssystem bei SEW-EURODRIVE neu definiert«, fasst Soder die aktuelle Unternehmensphilosophie zusammen und fährt fort: »Green heißt für mich auch, mit Ressourcen gut umzugehen, die Ressource Mensch sinnvoll einzusetzen. Ein Beispiel: Die Logistik voll zu automatisieren. Dadurch werden Ressourcen frei. Diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können sich durch Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen weiterentwickeln, beispielsweise zum Monteur. Damit wirken wir aktiv dem Fachkräftemangel entgegen«.
Green heißt für Soder auch der Verzicht auf Lack. Sprich: Aluminiumlegierungen unlackiert zu lassen. Das spart CO2 und trägt zur Energieeffizienz bei. Und Resilienz? Hier gilt es vor allem, starken Abhängigkeiten entgegenzuwirken. Beispielsweise mit einer hohen Fertigungstiefe, die in der mechanischen Fertigung bei 94 Prozent liegt. Ein Getriebemotor wird bis aufs Kugellager und den Wellendichtring komplett inhouse in Eigenleistung hergestellt.
»Eine digitale Transformation ist vor allem dann erfolgreich, wenn Prozess- und Systemarchitekturen Ende-zu-Ende erdacht, geplant und umgesetzt werden. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist dabei der Einsatz von beherrschbaren Technologien. Nicht überall wo KI draufsteht ist auch wirklich KI drin.«
Andre Frankenberg, Digital Transformation Officer bei SEW-EURODRIVE
Und auch beim Einkauf gilt der Vorsatz: Umdenken. Galt früher noch die Maßgabe, das billigstes Bauteil auf dem Beschaffungsmarkt zu besorgen, gilt heute, verlässliche Partner zu haben und nicht alleinig den Single-Source-Ansatz Asien zu wählen, sondern auf Second-Source-Märkte in Europa als Alternative zurückzugreifen. Alles in allem geht es Soder darum, einen Perspektivwechsel einzuläuten. Aus seiner Sicht wird der eh kommen müssen. Denn Transportkosten werden sich durch CO2-Bilanzen verteuern. Ein Umdenken heißt auch, in Prozessen zu denken und Prozesskostenrechnungen aufzustellen.
Ein Plädoyer an die Gestalter von morgen
Während seines Abschlussvortrages in Bruchsal im Rahmen der Lernreise schaltet Soder live in eines der Werke in den USA und zeigt, wie in Echtzeit Maschinen und Produkte miteinander interagieren. Alles ist in Arbeit, alles ist im Fluss. Die Megatrends dieser Zeit im Gepäck tüftelt er bereits an der nächsten Innovation: einem flexiblen, modularen und variabel skalierbaren Getriebe, dass je nach Verfügbarkeit und Bedarf individuell die passende Energiequelle aussucht und nutzt. »Selbst in meiner Freizeit habe ich mich immer mit neuen Ideen beschäftigt, war nie zu müde, den Status quo zu hinterfragen.«
Seine Devise: Mach auf Dich aufmerksam, bleib am Puls der Zeit und versuche, immer exzellente Leistung abzuliefern. Den aktuellen, aber auch zukünftigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bei Fraunhofer gibt er mit auf den Weg: »Sie kommen in eine fantastische Welt, in der man so viel gestalten und machen kann wie noch nie. Werden Sie Treiber und Macher einer erfolgreichen Zeit«. Besser hätte man es nicht sagen können.
»Abschalten und Energie sparen! Bei SEW-EURODRIVE setzen wir auf abschaltbare Fabriken in Kombination mit effizienten und nachhaltigen Energieerzeugungskonzepten.«
Daniela Schmid, Leiterin Bau- und Facility-Management bei SEW-EURODRIVE
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Anja Demont
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