»Matrixproduktion: Aus dieser Grundidee, die wunderbar zu unserer Unternehmenskultur passt, haben wir massiv Handlungen abgeleitet. Das hat dazu geführt, viel Power reinzubekommen«, sagt Manfred Kirchberger. (Foto: Siemens AG)
»Auf die Themen fokussieren, die wirklich wichtig sind«
»Lerne zu verlernen und neu zu lernen, denn nicht lernen kostet uns die Zukunft«, so Manfred Kirchberger, Werkleiter der factory2be in Karlsruhe, in seinem Vortrag zum Start der Lernreise »Produktion der Zukunft – Die resiliente Fabrik. Sicher, vernetzt, flexibel«, bei der Siemens und das Fraunhofer IPA Schirmherren sind.
Von Fred Nemitz
»Transform the Everyday«: Das steht bei Siemens für die Verbindung realer und digitaler Welten. Ob in China oder Erlangen – Manfred Kirchberger hat bereits diverse Werke im In- und Ausland geleitet, bevor er im Jahr 2017 nach Karlsruhe wechselte. Für ihn ein ganz normaler Vorgang, denn schließlich sind alle Siemens-Standorte miteinander verbunden.
Als er das sagt, zeigt er auf einen Flamingo-Anhänger, der an einem Lanyard hängt. »Wenn die starten, laufen die alle in dieselbe Richtung. Darum nutzen wir den Flamingo symbolisch als Metapher«. Gemeint ist damit nicht nur das übergreifende Programm »Lean Digital Factory«, sondern der Team-Spirit im Allgemeinen. Sich gegenseitig unterstützen ist gelebte Unternehmenskultur. Dann, wenn mal Not am Mann ist, oder in Krisenzeiten, die einen Global Impact auf Lieferketten & Co. haben, aber auch bei simplen Themen, die Werker tagtäglich in der Produktion umtreiben.
Ausprobieren, was praktisch möglich ist
Kirchberger ist kein Theoretiker. Er sagt Sätze wie: »Ich möchte den Shopfloor stärken, denn auf dem Shopfloor ist die Wahrheit«. Er möchte nicht diskutieren, was theoretisch alles möglich ist, sondern an praktischen Lösungen arbeiten, Sachen ausprobieren, neue Wege gehen und Machbarkeiten auf einer Zeitachse sinnvoll darstellen. Am Ende geht es ihm um technologische Realisierbarkeit und technische Reifegrade.
Und um Verdichtung. Also darum, möglichst schnell Ziele im strategischen Projekt zu erreichen. Die Erkenntnisse werden jeden Freitag im Team für zehn Minuten vorgestellt. Im Sinne eines Lerntermins. Was haben die Mitarbeitenden gelernt, wo sind sie gescheitert, wie geht es weiter, was nehmen sie sich vor. »Das ist eine gute Möglichkeit, das Thema Fehlerkultur und Lernen in den Vordergrund zu stellen. Alle sind eingeladen. Es geht nicht darum, mir zu berichten.« Kirchberger lässt sich gern auch mal inspirieren und probiert gerne neue Methoden aus, auch im agilen Kontext. Ihm geht es darum, schnell an Grenzen zu stoßen und dadurch auch schnell zu lernen, zudem unkonventionell und ohne Vorgaben unbekannte Themen zu bewegen. Die Teams können sich austoben und aktiv mitgestalten.
»Aber es gibt auch Themen, auf die man keine Antwort hat. Und da sollte man die Ehrlichkeit besitzen und das auch zugeben.« Corona ist so ein Thema. Da wusste man auch nicht, was kommt, wo die Reise hingeht oder wie lange das Ganze dauert. Da war Umdenken und Fingerspitzengefühl gefragt. »Sie können noch so viele Katastrophenübungen im Vorfeld durchspielen. Erst wenn die Situation da ist, kann man konkret darauf reagieren.« Was aus seiner Sicht sehr wohl geht, ist, die Organisation darauf vorzubereiten. Nichts anderes ist der Sinn und Zweck, der Charakter einer resilienten Fabrik.
Digitale Durchgängigkeit und agile Teams
Kirchberger sieht vor allem zwei Aspekte, die wichtig sind: Zum einen ist es die Daten- und Informationsverfügbarkeit, die digitale Durchgängigkeit innerhalb der Informationskaskade. Ein Beispiel: Im Suez-Kanal steht ein Container-Schiff quer und ein bestimmter Siemens-Standort weiß, ob dieses oder weitere nachgelagerte Schiffe Bauteile transportieren, die für die eigene Produktion oder die Produktion anderer Standorte relevant sind. Dieses Wissen, das verfügbar gemacht und verteilt wird, führt dazu, schnell reagieren zu können und zu schauen, wer unterstützen kann.
Zum anderen möchte Kirchberger die Menschen resilienter machen, um mit Krisen besser umgehen zu können. Hier lautet die Frage: Was ist das Problem und wer kann dazu beitragen, dieses zu lösen? Hier gilt es, sich eng auszutauschen und Teams zu formieren, die schnelle Entscheidungen treffen können. Teams, die empowered sind. »Teams sollten befähigt werden, Entscheidungen treffen zu können auf Basis der vorliegenden Informationen. Egal ob Supply Chain oder Produktdesign. Es geht immer darum, sich auf Situationen einzulassen und gemeinsam clevere Lösungen zu entwickeln.«
Matrixproduktion als konzernweiter Enabler
Konzernweite Enabler – dabei denkt Kirchberger vor allem an die Synergien der Siemens-Werke in Erlangen, Amberg und Karlsruhe. »Wir haben drei Fabriken, die in unterschiedlicher Form in der Champions League spielen. Von daher ergänzen wir uns gut, auch in den Kompetenzen.« Das Werk Karlsruhe beispielsweise ist Vorreiter bei Themen wie Mensch im Mittelpunkt und der Matrixproduktion. Gemeinsam mit dem Fraunhofer IPA hat die factory2be das Lab »Matrixproduktion im Fluss« ins Leben gerufen. Im Großen und Ganzen geht es darum, die Lean-Philosophie mit den Vorteilen der Matrixproduktion zu verknüpfen, daher Matrixproduktion im Fluss.
Die Matrixproduktion zeichnet sich dadurch aus, dass sie Maschinen der gleichen Fertigungsstufe örtlich zusammenstellt und technologisch harmonisiert. Beim Verfolgen des Prinzips der Matrix werden technologische Innovationen auch in den angrenzenden Prozessschritten vorangetrieben, da manuelle Prozessschritte konsequent eliminiert werden müssen. »Die Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer IPA ist für uns ein wichtiger Baustein, das Thema Matrixproduktion weiterzuentwickeln. Wir lernen voneinander«, ist Kirchberger überzeugt. Neue Impulse und andere Sichtweisen – auch gern mal »out of the box« – halten die Organisation fit.
Für Kirchberger haben Automatisierung und Digitalisierung immer einen Zweck. Diesen gilt es, den Leuten Stück für Stück näherzubringen. »Matrixproduktion hat den Leuten in der Produktion die Erklärung gegeben und die Klammer gesetzt: Warum muss ich digitalisieren und welche Rolle spiele ich dabei? Sie haben verstanden, warum sie etwas tun. Die Vision Matrixproduktion ist das höchste gemeinsame Ziel und kein Sprint, sondern ein Marathon«.
IT-Sicherheit rundet das Resilienz-Bild ab
»Das Siemens-Werk in Karlsruhe verdeutlicht, wie schnell Potenziale durch eine ganzheitlich gedachte digitale Transformation in Bezug auf Resilienz und Produktivität erschlossen werden können. Basis dafür ist die Agilität der Organisation, neue Lösungsideen sowie Technologien zu testen und zu integrieren.«
Michael Trierweiler, Projektverantwortlicher des Fraunhofer IPA im Enterprise-Lab »Matrixproduktion im Fluss«.
Neben digitaler Durchgängigkeit, der Befähigung agiler Teams und der Nutzung der Matrixproduktion macht aus Sicht von Kirchberger auch IT-Sicherheit eine Fabrik resilienter. Daher braucht ein Unternehmen auch eine resiliente Cyber-Security-Strategie, um den Schaden, der bei Angriffen von außen entstehen kann, möglichst gering zu halten. Eine Strategie, die für physische Sicherheit sorgt, Schnittstellen standardisiert und vor allem die Menschen befähigt, Cyber-Angriffe zu erkennen und darauf adäquat zu reagieren. Eine absolute Sicherheit gäbe es nie, so Kirchberger. Aber gerade bei IT-Themen sei es oft ein Rennen gegen die Zeit. So müssten betroffene Bereiche vom Gesamtsystem entkoppelt beziehungsweise abgekapselt werden.
Der Menschen bleibt im Mittelpunkt
Auch Diversifikation spiele eine wichtige Rolle in der resilienten Fabrik, so Kirchberger. In Zukunft möchte Kirchberger mehr auf globaler Ebene arbeiten, die Zusammenarbeit zwischen den Werken weiter verbessern, neue Netzwerkstrukturen schaffen und die Prozesse durchgängiger machen. Aus seiner Sicht wird die factory2be in Karlsruhe mittel- und langfristig deutlich digital durchgängiger und automatisierter sein, mehr Maschinelles Lernen einsetzen und den Menschen weiterhin den Weg ebnen, erfüllend Wertschöpfung zu erbringen.
Die resiliente Fabrik ist für ihn ein so umfassendes Thema, dass sie nie fertig sein wird. Im Gesamtkontext der organisationalen Resilienz ist ihm die Rolle des einzelnen Menschen besonders wichtig. Denn erst durch den Menschen wird die digitalisierte Fabrik eine intelligente. Dafür braucht es Resilienz, aber vor allem auch Kreativität und Innovationskraft, um dauerhaft in der Champions League mitspielen zu können. »Man wird nicht alles umsetzen können, aber man muss sich auf die Themen fokussieren, die wirklich wichtig sind. Sonst macht man alles oder nichts und die Organisation ist völlig verwirrt.«
»Erst durch den Menschen wird unsere digitalisierte Fabrik intelligent. Wir haben oft im Kopf, dass es die Digitalisierung ist, die uns intelligent macht, aber nein, es ist der Mensch, der die Digitalisierung intelligent macht.«
Sarah Sieringer, Head of International Operations & Strategy Development bei der Siemens AG
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