Kaminabend am Fraunhofer IPA mit Jim Womack (ganz hinten links), Institutsleiter Thomas Bauernhansl (ganz hinten rechts) und weiteren Gästen aus Wissenschaft und Industrie. (Quelle: Fraunhofer IPA/Foto: Rainer Bez)
Renommierter Lean-Forscher Jim Womack besucht das Fraunhofer IPA
Eine weltumspannende Reise, unter anderem zu den Ländervertretungen seines Lean Global Networks, führte den renommierten Politikwissenschaftler James (Jim) Womack Mitte April ans Fraunhofer IPA. Er nahm an einem Kaminabend der Institutsleitung teil und diskutierte im Kreise von Experten über Lean, New Lean und Beyond Lean.
Veröffentlicht am 08.05.2025
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Bei dem Kaminabend dabei waren Forscher und Vertreter sowie eine Vertreterin der Industrie. Sie tauschten sich über ihre Erfahrungen zum Management von Produktionssystemen in den vergangenen 30 Jahren aus und diskutierten unter anderem drei Thesen zur Veränderung von Lean.
Hat Lean tatsächlich seinen Höhepunkt erreicht?
Die erste These, mit der die Diskussion am Kaminabend gestartet ist, lautete: Lean hat seinen Höhepunkt erreicht – ohne digitale Disruption droht ein Produktivitätskollaps. Es wurde argumentiert, dass steigende Produktkomplexität und Variantenvielfalt die Grenzen traditioneller Lean-Prinzipien aufzeigen. Die rasche reflexartige Verlagerung von Produktionsstandorten ins Ausland habe neue Abhängigkeiten geschaffen. Nun sei nicht nur ein Re-Shoring, sondern gezielt ein Lean-Shoring erforderlich. Bedauert wurde in diesem Zusammenhang, dass Lean- und Kaizen-Praktiken zu lange ausschließlich in der Hand externer Beratungen lagen.
Kooperation des Fraunhofer IPA mit dem Massachusetts Institute of Technology (MIT)
Das Fraunhofer IPA mit seinem Future Work Lab und das MIT Industrial Performance Center (IPC) mit seiner Work-of-the-Future-Initiative verbindet Spitzenforschung zur Arbeit der Zukunft, insbesondere in Bezug auf schlanke Produktionssysteme, Industrie 4.0 und innovative Fertigungstechnologien. Simon Schumacher, Leiter des Forschungsteams Einführungs- und Umsetzungsmethoden für IT-Lösungen am Fraunhofer IPA, kam 2020 und 2022 als Gastwissenschaftler ans IPC. 2023 besuchten Professor Daniel Palm und Professor. Thomas Bauernhansl das MIT IPC zum weiteren Austausch über die Produktion der Zukunft. Von 2022 bis 2024 waren Simon Schumacher und sein Forschungsteam Teil eines Stipendiums der MIT International Science and Technology Initiatives. Dieses Stipendium ermöglichte es beiden Institutionen, ihre gemeinsame Forschung in Ohio, Massachusetts und Baden-Württemberg fortzusetzen und anschließende Workshops für Robotik-Experten des MIT und Fraunhofer zu veranstalten. Von Mai 2025 bis Januar 2027 fördern die MIT International Science and Technology Initiatives die Folgekooperation zwischen der Fraunhofer-Initiative »New Lean« und der MIT-Initiative »New Manufacturing«. Anfang Juni 2025 ist das Fraunhofer IPA mit einem Panel auf der Industry Studies Association Annual Conference am MIT vertreten.
Macht Künstliche Intelligenz (KI) Lean schlauer?
Spielt KI für Lean eine Rolle? Womack jedenfalls reagierte auf die zweite These zwiegespalten: Ohne KI bleibt Lean dumm – Lean 2.0 braucht maschinelles Denken. KI sei auch nichts anderes als eine weitere Automatisierung. Diskutiert wurde weiter, dass technologische Potenziale bislang zu wenig genutzt wurden, um Entwicklung und Produktion noch enger zu verzahnen. Neue Möglichkeiten der Kollaboration, gestützt durch KI und datenbasierte Systeme, können helfen, das Silodenken aufzubrechen und die Kommunikation zu verbessern. Cross-funktionale Rollen wurden dabei als Schlüssel zu einer stärkeren unternehmensdienlichen Zusammenarbeit identifiziert. Gleichzeitig wurde betont, dass eine zu starke KPI-Orientierung oft hinderlich wirke.
Im Zentrum stand auch die Erkenntnis, dass es nicht ausreicht, neue Technologien über alte Prozesse und Methoden zu stülpen. Vielmehr müsse ein tiefgehender kultureller Wandel angestoßen werden. Ein solcher kultureller Wandel sei aber – so die Expertenrunde – extrem schwierig. Die Verhaltensweisen änderten sich nämlich nur über einen veränderten individuellen Kontext der Mitarbeitenden und der Führungskräfte. Zentral sei es also, die Menschen zu befähigen, gute Arbeit zu machen. Inspirierend für Lean, so Womack, wirke hier immer noch das Toyota-Modell: Der Chief Engineer hatte dort keine disziplinarische Führungsverantwortung, trug aber maßgeblich Verantwortung für Produkt und Problemlösung und agierte gleichzeitig als Konfliktmoderator.
MIT Task Force Work of the Future
Die MIT Task Force Work of the Future wurde 2018 ins Leben gerufen, um zu verstehen, wie neue Technologien die Art der menschlichen Arbeit und die erforderlichen Fähigkeiten verändern – und wie technologische Innovationen zum Nutzen aller in der Gesellschaft gestaltet und genutzt werden können. Die Task Force ist ein Zusammenschluss von über 20 Professoren aus den Ingenieur-, Politik-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, darunter renommierte Einrichtungen wie die MIT Sloan School of Management, das MIT Computer Science and Artificial Intelligence Laboratory, die MIT Initiative on Digital Economy und das MIT Media Lab.
Ist es noch Lean, wenn es nicht grün ist?
Umfassende Nachhaltigkeit gehört zur DNA des Fraunhofer IPA. Die dritte These lautete daher wenig überraschend: Wenn es nicht grün ist, ist es nicht Lean – Nachhaltigkeit zur Vermeidung von Verschwendung. Dabei wurde allerdings festgestellt, dass Lean und Nachhaltigkeit nicht automatisch Hand in Hand gehen. Die durch Effizienzgewinne freigewordenen Kapazitäten sollten daher bewusst in grüne Initiativen investiert werden.
Ein Fazit des Kaminabends: Lean muss als dauerhaftes Experiment ständig weiterentwickelt werden. Neue digitale Technologien beziehungsweise KI treiben die Automatisierung und helfen, Verschwendung immer weiter zu reduzieren. Nachhaltigkeit wird dabei stets mitgedacht, passiert aber nicht automatisch. Unter diesen Rahmenbedingungen bleibt Lean künftig auch weiterhin ein wirksames Produktions- und Managementprinzip.
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interaktiv bat Jim Womack zum Interview und sprach mit ihm darüber, wie Lean-Prinzipien und moderne Technologien kombiniert werden können, um Wertschöpfungsprozesse zu optimieren und Herausforderungen in der Industrie zu meistern.
Ihre Ansprechpartnerin
Birgit Spaeth
Sprecherin der Institutsleitung
Telefon: +49 711 970-1810