Lean Management im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz

Jim Womack und Thomas Bauernhansl im Gespräch

James (Jim) Womack (links) im Gespräch mit Institutsleiter Thomas Bauernhansl. (Quelle: Fraunhofer IPA/Foto: Rainer Bez)

Lean Management im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz

James (Jim) Womack, der Pionier der Lean-Produktion, besuchte Mitte April das Fraunhofer IPA. interaktiv nutzte die Gelegenheit zum Interview und sprach mit ihm darüber, wie Lean-Prinzipien und moderne Technologien kombiniert werden können, um Wertschöpfungsprozesse zu optimieren und Herausforderungen in der Industrie zu meistern.

Veröffentlicht am 08.05.2025

Lesezeit ca. 9 Minuten

Herr Womack, Sie haben in Ihrer Karriere die Konzepte der schlanken Produktion und des schlanken Managements, also die Lean-Idee entwickelt. Kurz und bündig: Was bedeuten sie im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz?

Jim Womack: Beginnen wir mit »lean«. Dies ist schlicht eine Art, über die Wertschöpfung für den Kunden nachzudenken – über die Produkt- und Prozessentwicklung vom Konzept bis zur Markteinführung, über die Auftragsabwicklung von der Bestellung bis zur Lieferung und über die Nutzung von der Lieferung bis zum Recycling. Jeder dieser Bereiche ist ein Prozess, der aus vielen Schritten besteht, von denen einige manuell, andere automatisiert sind. Oft wird der Wert für den Kunden nicht klar verstanden, und viele der beteiligten Schritte sind verschwenderisch, zum Beispiel die Nacharbeit an einem Produkt oder die Lagerung großer Bestände, die der Kunde nicht will.

Lean setzt viele Methoden ein, um den Wert genauer zu definieren und Produkte schneller und mit weniger Verschwendung bereitzustellen. Das sind Ideen, die vor allem bei Toyota in Japan in den 1950er und 1960er Jahren entwickelt wurden. Dazu gehören der Chefingenieur für jedes Produkt, die Wertstromkarte, die Reorganisation von Produktionsschritten in Prozessreihenfolge, die sofortige Erkennung von Fehlern, um zu verhindern, dass sie zum Kunden gelangen, und natürlich »Pull«-Produktionskontrollsysteme – Just-in-Time in der Toyota-Sprache –, um Überproduktion zu vermeiden und gleichzeitig die Lagerbestände zu minimieren.

Ein weiteres Merkmal von Lean ist der Geist des Experimentierens – Toyota nennt das »Management durch Wissenschaft« –, um jeden wertschöpfenden Prozess über Experimente kontinuierlich zu verbessern und voranzutreiben. Das wird oft als Kaizen bezeichnet. In diesem Sinne bietet die neueste Generation von Robotik- und KI-Technologien großartige Möglichkeiten zum Experimentieren. Aber diese Technologien ändern nichts an der grundlegenden Aufgabe, die darin besteht, den Wertschöpfungsprozess kontinuierlich zu verbessern.

Weniger bekannt ist die einfache Tatsache, dass eine schlanke Produktion ein schlankes Managementsystem erfordert, um Probleme mit den bestehenden Methoden zu erkennen und die Organisationen auf deren Lösung auszurichten. Zu den Methoden gehören das tägliche Management, um grundlegende Stabilität in den bestehenden Abläufen zu schaffen, das Verbesserungsmanagement, um die Leistung stetig voranzutreiben, und die Strategieentwicklung, um die Organisationen auf die wenigen großen Dinge zu konzentrieren, die jetzt in Angriff genommen werden müssen. Eine davon könnte die flächendeckende Einführung von KI in der Produktentwicklung, der Produktion und dem Kundensupport sein. Und dieser Managementbedarf wird auch in einer Welt mit viel höherem Automatisierungsgrad bestehen bleiben, selbst bei der Arbeit der Führungskräfte an der Front.

Lean ist also quicklebendig, während wir uns auf ein Zeitalter intensiver Experimente mit der nächsten Generation von Technologien zur Wertschöpfung zubewegen. Und ich glaube, dass diese Denkweise und insbesondere das Lean-Management-System entscheidend sein werden, um die theoretischen Vorteile dieser Technologien voll auszuschöpfen.

Zur Person

James P. Womack wurde am 27. Juli 1948 in Little Rock, Arkansas, geboren. 1970 machte er seinen Bachelorabschluss im Fach Politikwissenschaft an der University of Chicago und 1975 seinen Masterabschluss in Transportsystemen an der Harvard University. Seine akademische Laufbahn setzte er anschließend am Massachusetts Institute of Technology (MIT) fort, wo er 1982 in Politikwissenschaft promovierte. In seiner Dissertation verglich er die Industriepolitik der USA, Deutschlands und Japans.

1975 startete Womack seine Tätigkeit am MIT. Als Forschungsdirektor des International Motor Vehicle Program (IMVP) führte er ein Team, das den Begriff »Lean Production« prägte, um das effiziente Produktionssystem von Toyota zu beschreiben. Diese Arbeit mündete in die Veröffentlichung des Buches »The Machine That Changed the World« im Jahr 1990, das die Prinzipien der Lean Production einem breiten Publikum vorstellte. Nach seinem Ausscheiden aus dem MIT gründete Womack 1997 das Lean Enterprise Institute (LEI), eine gemeinnützige Organisation mit dem Ziel, Lean-Prinzipien weiterzuentwickeln und zu verbreiten. Bis 2010 war er Vorsitzender und CEO des LEI und ist seither als Senior Advisor tätig.

Bücher:

  • Womack, J.P., Jones, D.T., Roos, D. (1990). The Machine That Changed the World: The Story of Lean Production, Harper Perennial.
  • Womack, J.P., Jones, D.T. (1992). Die zweite Revolution in der Autoindustrie: Konsequenzen aus der weltweiten Studie aus dem Massachusetts Institute of Technology. Deutschland: Campus Verlag.
  • Womack, J.P., Jones, D.T., Stotko, E.C. (1998). Auf dem Weg zum perfekten Unternehmen: (Lean Thinking). Deutschland: Heyne.
  • Womack, J.P., Jones, D.T. (2013). Lean Thinking: Ballast abwerfen, Unternehmensgewinn steigern. Deutschland: Campus Verlag.

Sie sind schon seit ein paar Tagen auf dem Campus. Wie kommt es, dass Sie das Fraunhofer IPA besuchen?

Womack: Ich habe meine Gedanken über schlanke Produktion und schlankes Management in meinen Jahren als Wissenschaftler und als Forschungsleiter einer langjährigen Studie über die globale Automobilindustrie am MIT in Boston entwickelt. In der Mitte meiner Karriere beschloss ich, mein zeitliches Engagement am MIT zu reduzieren und eine gemeinnützige Organisation, das Lean Enterprise Institute, zu gründen, um die von unserem Team formulierten Ideen zu promoten. Im Laufe der Zeit schufen wir ein Netzwerk von ähnlichen Organisationen in 32 Ländern, einige davon in Europa. Ich besuche diese Organisationen oft während ihrer jährlichen Konferenzen. Ich hatte also ohnehin vor, zu dieser Zeit in Europa zu sein.»Die langfristige Absicherung von Fraunhofer Austria durch das Wirtschaftsministerium wird es uns ermöglichen, in der Vorlaufforschung zahlreiche Themen aufzubereiten, die danach in weiterführenden Projekten den österreichischen Unternehmen zugutekommen«, sagt Professor Wilfried Sihn, einer der beiden Geschäftsführer der Fraunhofer Austria Research GmbH. Dank der Finanzierung durch das österreichische Wirtschaftsministerium wird sich die Anzahl von Kooperationen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft deutlich erhöhen. Durch diese Unterstützung kann Fraunhofer Austria jährlich etwa 30 bis 40 neue kooperative Forschungsideen und -anträge mit österreichischen Unternehmen zu deren direktem Nutzen entwickeln.

Zufällig unterhielten sich Professor Thomas Bauernhansl und Forschungsleiter Simon Schumacher vom Fraunhofer IPA mit Mitarbeitern des Industrial Performance Center am MIT, dessen Arbeit ich seit vielen Jahren verfolge. Sie diskutierten über ein gemeinsames Projekt zu den Auswirkungen von Robotik und KI auf die Fertigung im Allgemeinen und auf die Automobilindustrie im Besonderen. Das Programm »New Lean« und »New Manufacturing« war gerade genehmigt, und die IPC-Forscher schlugen vor, dass ich das Fraunhofer IPA besuchen sollte, während ich in Europa bin. Hier bin ich nun also.

Generell bin ich immer an der Arbeit der Fraunhofer-Institute interessiert, weil sie eine enge Verbindung zwischen der industriellen Realität und der universitären Forschungscommunity schaffen. Etwas, das wir in den USA viel besser machen könnten. Ich bin also doppelt froh, hier zu sein.

Die Beziehungen zwischen Universitäten und Regierung in den USA sind im Moment eher schwierig. Machen Sie sich Sorgen um die Unterstützung von Wissenschaft und Technologie?

Womack: Mit einem Wort: Ja. Meine Tochter, die promoviert hat, ist leitende Wissenschaftlerin im Klimawissenschaftlichen Labor der Regierung, das für 2026 aus dem Haushalt gestrichen werden soll, daher ist meine Sorge auch persönlich. Ich denke jedoch, dass es wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass die Technologien, über die wir in der Produktion sprechen, wahrscheinlich große Auswirkungen auf die Gesellschaft haben werden, da sie den Umfang und die Art der Arbeit verändern werden. Diese Bedenken sind auch mit geopolitischen Fragen verbunden, etwa, welche Unternehmen in welchen Branchen in welchen Ländern das technologische Rennen gewinnen werden. Man denke nur an die aktuellen Sorgen um die deutsche Automobilindustrie. Die »neue Fertigung« wird also zwangsläufig umstritten sein und zu Umwälzungen führen, egal wie die politische Landschaft aussieht.

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Jim Womack hat bei seinem Besuch am Fraunhofer IPA an einem Kaminabend, organisiert von der Institutsleitung, teilgenommen. Dabei diskutierte er mit Vertretern aus Industrie und Forschung über Lean, New Lean und Beyond Lean. interaktiv war dabei und hat das Gespräch zusammengefasst.

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Die digitalen Technologien werden vom Durchschnittsbürger als intransparent angesehen – wer schreibt die Software und mit welchen Zielen? – und als potenziell störend für alle Arbeitnehmer. Ausgenommen sind diejenigen, die über spezielle, sofort benötigte Fähigkeiten verfügen. Doch die neuen Technologien werden auch als entscheidend für die nationale Sicherheit und das wirtschaftliche Wohlergehen angesehen. Es wird also zwangsläufig eine intensive Diskussion über diese gegensätzlichen Standpunkte geben. Ich hoffe, dass die Frage, was mit dem Einsatz bestimmter Technologien zu tun ist, von der umfassenderen Frage der Unterstützung der wissenschaftlichen und technologischen Forschung, insbesondere im universitären Bereich, getrennt werden kann. Ich sage immer, dass ich ein langfristiger Optimist, aber ein kurzfristiger Pessimist bin. Und das scheint in der jetzigen Situation eine vernünftige Haltung zu sein.

Herr Womack, vielen Dank für dieses Gespräch.

Ihre Ansprechpartnerin

Birgit Spaeth

Sprecherin der Institutsleitung
Telefon: +49 711 970-1810

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