Quelle: Fraunhofer IPA/Foto: Rainer Bez
Digitale Helfer für die Montageautomatisierung
Eine App, um Automatisierungspotenziale zu ermitteln, und eine Webseite für die automatisierungsfreundliche Konstruktion von Bauteilen: Mit diesen beiden Tools können Unternehmen ihre Montage effizienter und wirtschaftlicher gestalten. Beide sind mit wenigen Klicks einsetzbar.
Im Gegensatz zu vielen anderen Produktionsschritten ist die Montage oft der Bereich, der noch manuell ausgeführt wird. Das liegt an einer hohen Variantenvielfalt bei kleinen Losgrößen, unterschiedlichsten Prozessen und Prozessanforderungen sowie einer undefinierten Teilebereitstellung. Mit dem richtigen Know-how ist es aber oft dennoch möglich, eine Voll- oder auch Teilautomatisierung mit Mensch-Roboter-Kooperation (MRK) für die Montage umzusetzen und dadurch kostengünstiger zu produzieren.
Das Fraunhofer IPA hat zu diesen Fragen bereits zahlreiche Firmen weltweit auf fünf Kontinenten beraten. Hierfür setzen die Experten die eigens entwickelte Automatisierungs-Potenzialanalyse (APA) ein. Bei der APA untersuchen die Experten jeden Montageschritt in Bezug auf die Kriterien Vereinzeln, Handhaben, Positionieren und Fügen. Diese vier Kriterien werden dann noch einmal weiter aufgeschlüsselt. Beispielsweise wird das Positionieren in die Detailaspekte Toleranzen der Zielposition, vorhandene Positionierhilfen, Zugänglichkeit, Fügebewegung, Fügetoleranzen und Haltestabilität untergliedert und jeder Prozess noch einmal entsprechend bewertet. Hinzu kommen Untersuchungen zu möglichen Zeiteinsparungen und ergonomischen Eigenschaften. Erfahrungsgemäß ergibt diese Untersuchung, dass etwa ein Zehntel der Montageprozesse prinzipiell für eine Automatisierung infrage kommt.
Per App zum Automatisierungsexperten
Bisher war dieser Prozess an das Wissen eines Experten gebunden. Zudem konnten die Daten, die bei jeder APA anfallen, nur manuell verwaltet und beispielsweise nicht für automatisierte Auswertungen genutzt werden. Um die APA wesentlich kundenfreundlicher zu gestalten und die anfallenden Daten besser nutzen zu können, bietet das Fraunhofer IPA jetzt eine App für Android-Geräte an, die das bisher personengebundene Wissen bündelt und digital allen interessierten Unternehmen bereitstellt.
»Mit unserer APA-App kann jeder zum Experten in der Bewertung von Montageprozessen werden«, erklärt Alexander Neb, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IPA arbeitet und die App mitentwickelt hat. Aktuell steht die App in der Version 2.0 bereit. Erste Anwender können sie mit einem einfachen Lizenzvertrag nutzen. Die App soll nicht auf die Montage beschränkt bleiben: »Wir arbeiten daran, auch das Thema MRK in die App zu integrieren, weil wir hierfür gerade in der Montage viele Einsatzmöglichkeiten sehen. Weitere Themengebiete werden die Maschinenbestückung und Demontage. Denn beide Aspekte werden aufgrund des wachsenden Umweltbewusstseins der Unternehmen und einer veränderten Gesetzeslage immer wichtiger«, erklärt Neb. »Wir freuen uns über Anfragen interessierter Unternehmen, die diese Weiterentwicklungen mit uns umsetzen möchten.«
Bauteile automatisch bewerten lassen
Wenn die App zu dem Ergebnis kommt, dass sich ein Montageprozess nicht gut automatisieren lässt, macht sie die Gründe hierfür ersichtlich. »So können beispielsweise aufgrund von Verhakungen oder Hinterschneidungen entscheidende Teil prozesse wie das automatisierte Vereinzeln oder Greifen technisch zu aufwendig oder unwirtschaftlich werden«, sagt Raoul Schönhof, Entwickler der Webseite und Software NeuroCAD. Während die APA-App bestehende Produktionen analysiert, ist NeuroCAD bereits im Planungsprozess einsetzbar.
Denn auch für die Planungsphase gilt: Das Wissen über die Vereinzelbarkeit von Bauteilen und über weitere Kriterien, die für eine automatisierte Produktion wichtig sind, ist bisher an die Erfahrungen eines Experten gekoppelt. Jetzt unterstützt die Software NeuroCAD, die diese Einschätzung mithilfe maschineller Lernverfahren (ML), in diesem Fall mit einem bereits umfassend trainierten Neuronalen Netz, automatisiert.
Anwender können auf der als Prototyp existierenden Seite www.neurocad.de einfach ihre Stepdatei hochladen. Sie halten dann innerhalb weniger Sekunden eine 3D-Voxeldatei des Bauteils sowie eine Einordnung auf einer Skala von eins bis zehn, wie einfach oder schwer ein Bauteil zu vereinzeln ist. »Außerdem bewertet das Tool die Greifflächen und Ausrichtbarkeit des Bauteils«, ergänzt Schönhof. »Künftig wird eine Heatmap farblich anzeigen, welche Bauteileigenschaften für die Bewertung wichtig waren. Aktuell arbeiten wir daran, weitere Informationen ausgeben zu können, wie zum Beispiel zur Positionierbarkeit.« Neben der Bewertung des Bauteils nennt das Neuronale Netz zudem eine Wahrscheinlichkeit dafür, dass es mit seiner Bewertung richtigliegt.
NeuroCAD in die Praxis bringen
NeuroCAD ist nur eines von vielen Beispielen dafür, wie maschinelle Lernverfahren (ML) bereits heute praktisch helfen können. Im Rahmen mehrerer öffentlich geförderter Projekte unterstützt das Fraunhofer IPA beim Einsatz von NeuroCAD wie auch zahlreicher anderer Tools im Kontext von Robotik, Qualitätssicherung, Bildverarbeitung und optimierten Produktionsprozessen.
Die Entwickler der Software haben besonders zwei Nutzergruppen im Blick, für die sich das Tool lohnen dürfte: Produktdesigner können bereits im Planungsprozess eines Produkts genauer wissen, ob es sich in der gedachten Ausgestaltung dafür eignet, automatisiert montiert zu werden. Für Anbieter von Vereinzelungsanlagen ist NeuroCAD ein Hilfsmittel, mit dem sie intern Angebote erstellen können oder das extern für den Vertrieb nutzbar ist. Im letzteren Fall könnten Kunden ihre Stepdatei hochladen, die Anzahl der zu fertigenden Teile nennen und sie würden den Liefertermin und den Preis online angezeigt bekommen.
Ihre Ansprechpartner
Alexander Neb
Mitarbeiter der Gruppe Montageautomatisierung
Telefon: +49 711 970-1353
Raoul Schönhof
Mitarbeiter der Gruppe Montageautomatisierung
Telefon: +49 711 970-1843