Quelle: Fraunhofer IPA/Foto: Rainer Bez
»Leistungen anbieten, die den Nerv treffen«
Andreas Bildstein leitet am Fraunhofer IPA die Forschungsgruppe Umsetzungsmethoden für die digitale Produktion. Er ist Überzeugungstäter, wenn es darum geht, passgenau anzubieten, was den Mittelstand weiterbringt. »Sehen, verstehen, unterstützen« lautet seine Devise.
Herr Bildstein, Digitalisierung im Mittelstand, Fokus Produzierendes Gewerbe: Warum beschäftigen Sie sich mit diesem Thema?
Kleine und mittlere Unternehmen, kurz: KMU, sind eine sehr wichtige Säule unserer Wirtschaft und tragen dadurch wesentlich zum Wohlstand unserer Gesellschaft bei. Gleichzeitig stehen gerade KMU vor vielseitigen Herausforderungen wie dem Fachkräftemangel, der Entwicklung neuer, zukunftsfähiger Geschäftsmodelle und der Anpassung der internen Prozesse an immer komplexer werdende externe Anforderungen. Mir und meiner Mannschaft ist es ein großes Anliegen, diese Unternehmen zumindest bei einem Teil ihrer Herausforderungen zu unterstützen. Wir freuen uns, wenn wir mit unserer Unterstützung einen Beitrag dazu leisten können, dass die Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit halten oder sogar ausbauen können.
Und in welcher Form unterstützen Sie Unternehmen?
Wir sind froh, dass auch die Politik frühzeitig erkannt hat, dass insbesondere KMU beim Thema Digitalisierung Bedarf an kompetenter und umfassender Unterstützung haben. Diese Unterstützung können wir mithilfe verschiedener KMU-Förderprogramme auf verschiedenen Ebenen – EU, Bund, Land – leisten, indem wir Dank dieser Programme verschiedene Transfermaßnahmen anbieten. Hierzu gehört nicht nur der Fraunhofer-typische Technologietransfer zur Lösung spezifischer Problemstellungen, sondern wir unterstützen die Unternehmen auch methodisch beim Digitalisierungsstart. So können wir beispielsweise im Rahmen der Initiative Mittelstand Digital über das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderte Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Stuttgart den KMU Möglichkeiten aufzeigen und ihnen helfen, für die Digitalisierung geeignete Anwendungsfälle zu finden und umzusetzen. Das sind Leistungen, die die Unternehmen sehr gerne annehmen, da sie offensichtlich den Nerv treffen.
Welche Fragen stellen Unternehmen in diesem Kontext immer wieder – und warum?
Ganz oben wäre da sicherlich zu nennen, dass viele Unternehmen auf uns zukommen und sagen, dass sie zwar verstanden hätten, dass Digitalisierung auch für sie wichtig ist, dass sie aber nicht so recht wüssten, wie sie denn nun anfangen sollten. Hier helfen wir, die passenden Themen ausfindig zu machen und in Form sogenannter Use Cases, also Anwendungsfälle, aufzubereiten. Dieser problemgetriebene Ansatz hat dabei den Vorteil, dass direkt auf die aktuellen Probleme eingegangen werden kann. Wir helfen dabei, diese Anwendungsfälle systematisch zu erheben, zu beschreiben und nach einem Kosten-Nutzen-Abgleich für die Umsetzung zu priorisieren. Am Ende haben die Unternehmen dann eine Roadmap, die ihnen aufzeigt, welche Use Cases der Reihe nach in welcher Form umgesetzt werden sollten, um das Thema Digitalisierung zielgerichtet anzugehen.
Weitere Fragestellungen..?
… drehen sich zum Beispiel um die Themen Tooleinsatz oder Mitarbeitereinbindung. Die Frage nach den passenden Werkzeugen für die Umsetzung der verschiedenen Use Cases ist für KMU essenziell, da sie häufig nicht daran interessiert sind, langwierige Forschungs- und Entwicklungsprojekte zu begleiten, um einen Lösungsansatz für deren Problemstellung zu erhalten. Vielmehr wünschen sich die Unternehmen Werkzeuge, die sie quasi von der Stange kaufen und ohne große Anpassung und Wartungsarbeiten direkt einsetzen können. Leider gibt es am Markt oft keine geeigneten Lösungen für ganz spezielle Problemstellungen. In diesem Fall helfen wir dann bei der Entwicklung eines geeigneten Lösungsdesigns und unterstützen auf Wunsch bei der Umsetzung – entweder direkt durch unsere Technologie-Experten oder indem wir bei der Auswahl geeigneter Anbieter oder Umsetzungspartner helfen.
Wie weit ist der Mittelstand beim Thema Digitalisierung?
Das kann leider nicht pauschal beantwortet werden. Das ist von Unternehmen zu Unternehmen oft sehr unterschiedlich und hängt unserer Erfahrung nach sehr stark vom Engagement einzelner Akteure in den Unternehmen ab. Insgesamt können wir aber erkennen, dass die Unternehmen der Digitalisierung gegenüber doch zunehmend aufgeschlossener sind und sie nicht mehr als Bedrohung, sondern als Chance sehen.
Was sind die größten Hürden, die größten Treiber, die sichtbarsten Erfolge? Nennen Sie Beispiele aus Projekten, die Sie betreut haben.
Hürden bei der Digitalisierung gibt es für KMU viele. Eine der größten Hürden ist sicherlich der Zugriff auf kompetente und unabhängige Unterstützung. Hier setzen wir an und bieten den Unternehmen einen niedrigschwelligen, breit aufgestellten und herstellerunabhängigen Zugang – sei es im Bereich der eigenen Prozesse oder bei der Digitalisierung der Produkte und damit der Entwicklung neuer Zugänge zu deren Kunden. Einer der größten Treiber bei der Digitalisierung der unternehmensinternen Prozesse ist wohl der Fachkräftemangel, der im ganzen Südwesten gerade kleine und mittelständische Unternehmen im Produktionsumfeld belastet. Wir haben mit vielen Unternehmern gesprochen, die gerne ihr Geschäft ausbauen würden, dies aber aufgrund fehlender qualifizierter Mitarbeiter nicht machen können. Hier ist die Digitalisierung einzelner Prozesse oft ein geeigneter Ansatz.
Mit Hilfe der Digitalisierung können beispielsweise Mitarbeiter bei der Durchführung ihrer Aufgaben unterstützt werden und so mehr zeitliche Freiräume erhalten. Dies verschafft Luft für weitere Aufgaben. Bei der Digitalisierung geht es also nicht darum, durch die Einführung von Digitalisierungslösungen bestehendes Personal abzubauen, sondern dieses Personal dabei zu unterstützen, ihre heutigen Aufgaben besser erledigen zu können.
Was sind Ihre wichtigsten Erkenntnisse aus dem Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Stuttgart?
Die wichtigste Erkenntnis ist, dass viele KMU beim Start in die Digitalisierung ihrer Prozesse und Produkte Unterstützung benötigen, diese auch gerne annehmen, wenn sie ihnen passgenau bereitgestellt wird. Insbesondere die Unterstützung im Rahmen von Umsetzungsprojekten ist für KMU sehr interessant, da sie diese Unterstützung nur selten herstellerunabhängig und kostenneutral erhalten. Diese Form der Förderung halte ich für sehr gelungen und sollte daher in Richtung Anbieter von digitalen Werkzeugen wie IT-Unternehmen ausgebaut werden. So könnten Innovationen für KMU entstehen, deren Umsetzung sonst oft am finanziellen Rahmen scheitern würde.
Podcast mit Andreas Bildstein
Dr. Andreas Bildstein ist im Podcast »KI in der Industrie« von Peter Seeberger und Robert Weber zu Gast und beantwortet die Frage: Wer hilft beim Start von KI-Projekten? In dieser Podcastfolge erklärt er unter anderem, wie man Anwendungsfälle findet, bei denen sich KI wirtschaftlich lohnt, Mitarbeitende entlastet werden und vor allem, konkrete Probleme gelöst werden.
Wohin geht die Reise? Wo werden Sie zukünftig dem Mittelstand in puncto Digitalisierung unter die Arme greifen?
Wohin die Reise gehen wird, wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass wir unterwegs sind. Wir können für die KMU nur hoffen, dass weiterhin zahlreiche Fördertöpfe für den Start und das Meistern der Digitalisierung bereitgestellt werden, die über die reine Förderung einzelner Anwendungsfälle hinausgehen und eine nachhaltige und dauerhafte Infizierung der Unternehmen mit dem Geist der Digitalen Transformation unterstützen.
Klingt nach Arbeit!
Solange wir können, werden mein Team und ich die KMU dabei begleiten, denn wie bereits gesagt: Wir sind fest davon überzeugt, dass jedes produzierende Unternehmen von der Digitalen Transformationen profitieren kann. Neben der methodischen Begleitung werden wir in Zukunft noch mehr den Fokus auf die Technologieauswahl für einzelne Anwendungsfälle der Unternehmen legen. Inzwischen sind die vom Markt angebotenen Lösungen zur Digitalen Produktion in Teilen auch für KMU hinsichtlich Funktionalität und Preismodell interessant. Wir sehen unsere Aufgabe darin, Angebot und Nachfrage bei der Umsetzung von Digitalisierungslösungen zusammenzuführen und eventuelle Lücken in der Passgenauigkeit durch eigene Forschungs- und Entwicklungsarbeiten für beide Seiten zu schließen.
Ihr Ansprechpartner
Dr. Andreas Bildstein
Leiter der Gruppe Umsetzungsmethoden für die digitale Produktion
Telefon: +49 711 970-1255